Irak-Krieg: 20 Jahre danach

Invasion

Bagh­dad, am 20. März 2003. In den frü­hen Mor­gen­stun­den die­ses Don­ners­tags wird die ira­ki­sche Haupt­stadt von Explo­sio­nen erschüt­tert, es fal­len Schüs­se. Die Sze­ne­rie ist von zahl­rei­chen Brän­den in oran­ge­ro­tes Licht getaucht. Die US-geführ­te Inva­si­on im Irak hat­te begon­nen, und die ira­ki­schen Streit­kräf­te soll­ten die Über­macht der Trup­pen­ver­bän­de die­ser Koali­ti­on, bestehend aus USA, Groß­bri­tan­ni­en, Aus­tra­li­en und Polen, spü­ren. Am Vor­abend war ein Ulti­ma­tum des dama­li­gen US-Prä­si­den­ten Geor­ge W. Bush abge­lau­fen: Sad­dam Hus­sein soll­te den Irak ver­las­sen oder die USA wür­den eine Inva­si­on des Lan­des beginnen.

Die Kampf­hand­lun­gen dau­er­ten etwa drei Wochen, dann war das ira­ki­sche Regime kom­plett zusam­men­ge­bro­chen. Koali­ti­ons­kräf­te hat­ten den Irak voll­stän­dig unter Kon­trol­le gebracht, zumin­dest schien es zunächst so. Zur Ver­wal­tung des Irak eta­blier­te man die Coali­ti­on Pro­vi­sio­nal Aut­ho­ri­ty (CPA), die auf Basis der Reso­lu­ti­on 1483 des UN-Sicher­heits­rats ope­rier­te und vom US-ame­ri­ka­ni­schen Diplo­ma­ten Paul Bre­mer gelei­tet wur­de. Nach dem Ende der Kampf­hand­lun­gen hielt Prä­si­dent Bush an Bord des US-Flug­zeug­trä­gers USS Abra­ham Lin­coln eine Rede: „Mis­si­on Accom­plished“. Die­se Wor­te soll­ten ihn noch verfolgen.

Kriegsgründe

Sad­dam Hus­sein, noch bis 1988 ein Ver­bün­de­ter der USA gegen den Iran, war in rela­tiv kur­zer Zeit in Ungna­de gefal­len. Bis 1988 unter­stütz­ten die USA den Irak im Krieg gegen den Iran, doch als Sad­dam Hus­sein zwei Jah­re spä­ter Kuwait annek­tier­te, grif­fen die USA ein. 1991 befrei­te eine inter­na­tio­na­le Koali­ti­on Kuwait von der ira­ki­schen Besat­zung, damals auf Basis eines Man­dats des UN-Sicher­heits­rats. Obwohl US-Trup­pen bereits Rich­tung Bagh­dad vor­stie­ßen, wur­de letzt­end­lich davon abge­se­hen, Sad­dam Hus­sein zu stür­zen. Der Irak, der damals tat­säch­lich Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen besaß und sogar ein Nukle­ar­waf­fen­pro­gramm betrieb, wur­de dazu gezwun­gen, die­se Waf­fen­pro­gram­me zu been­den und bestehen­de Arse­na­le zu ver­nich­ten. Wie man heu­te weiß, hielt sich der Irak tat­säch­lich an die Vor­ga­ben der UN.

Mehr noch: der Irak war 2003 weder tech­no­lo­gisch noch öko­no­misch dazu in der Lage, Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen zu ent­wi­ckeln oder zu pro­du­zie­ren. Das wur­de deut­lich, als schlicht kei­ne Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen oder auch nur Anzei­chen für ent­spre­chen­de Pro­gram­me gefun­den wur­den. Einer der Kriegs­grün­de war in sich zusam­men­ge­fal­len – und auch die ande­ren Argu­men­te waren nicht stich­hal­tig. Dass der Irak Ver­bin­dun­gen zu al-Qai­da unter­hal­ten wür­de, war fak­tisch nicht kor­rekt. Tat­säch­lich waren die Anschlä­ge vom 11. Sep­tem­ber 2001 sämt­lich von sau­di­schen Staats­bür­gern aus­ge­übt wor­den. Ande­re Ver­bin­dun­gen zu ter­ro­ris­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen waren, wenn, dann nur ober­fläch­lich vor­han­den. Letzt­lich blieb nur das Argu­ment der Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, die das Regime immer­hin tat­säch­lich beging. Dass die­se eine Inter­ven­ti­on recht­fer­ti­gen wür­den, wur­de aller­dings von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Human Rights Watch bestritten.

Die US-Regie­rung unter Geor­ge W. Bush hat­te ver­sucht, eine Droh­ku­lis­se auf­zu­bau­en, in deren Zen­trum Sad­dam Hus­sein stand. Des­sen Regime, das wur­de man­tra­ar­tig wie­der­holt, habe nicht nur Ver­bin­dun­gen mit al-Qai­da oder ande­ren ter­ro­ris­ti­schen Grup­pen, son­dern besä­ße Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen und begin­ge Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Die­se drei Argu­men­te wur­den immer wie­der wie­der­holt: Ter­ro­ris­mus, Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen, Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Bereits 2003 wuss­te man jedoch, dass die­se Argu­men­te, auf denen die US-Regie­rung ihren Krieg auf­bau­te, nicht stich­hal­tig waren. Aber die Ent­schei­dung war gefal­len: Sad­dam Hus­sein muss­te gestürzt werden.

Zusammenbruch

Nach der Inva­si­on war die ira­ki­sche Armee besiegt, erheb­li­che Tei­le der ira­ki­schen Infra­struk­tur zer­stört und auch die Sicher­heits­la­ge ver­schlech­ter­te sich zuse­hends. Anstatt jedoch mit den ira­ki­schen Behör­den zusam­men­zu­ar­bei­ten und gegen Plün­de­run­gen und Über­fäl­le vor­zu­ge­hen, beging die CPA einen ent­schei­den­den Feh­ler, der den Grund­stein für wei­te­re Kon­flik­te leg­te. Mit der Coali­ti­on Pro­vi­sio­nal Aut­ho­ri­ty Order 2 wur­de die ira­ki­sche Armee sowie die Sicher­heits- und nach­rich­ten­dienst­li­che Infra­struk­tur des Irak auf­ge­löst. Mit einem Schlag waren nicht nur 500.000 Men­schen arbeits­los, von den Streit­kräf­ten war zudem die wirt­schaft­li­che Exis­tenz von über 5 Mio. Men­schen abhän­gig. Hin­zu kam, dass Mil­lio­nen an Gel­dern für den wirt­schaft­li­chen Wie­der­auf­bau des Irak in Kor­rup­ti­ons­ka­nä­len ver­si­cker­ten; ledig­lich ein Bruch­teil der Ver­trä­ge für den Wie­der­auf­bau wur­den an ira­ki­sche Fir­men vergeben.

Es über­rascht also nicht, dass sich loka­le Mili­zen, oft nach reli­giö­ser Zuge­hö­rig­keit, bil­de­ten, die einer­seits für Sicher­heit sor­gen soll­ten und ande­rer­seits poli­ti­schen Ein­fluss bedeu­te­ten. Eine die­ser Mili­zen war die soge­nann­te „Mah­di-Armee“ des schii­ti­schen Geist­li­chen Muq­ta­da as-Sadr. Die­se Mili­zen waren auch Aus­druck einer begin­nen­den Kon­fes­sio­na­li­sie­rung, also der Spal­tung der ira­ki­schen Bevöl­ke­rung ent­lang kon­fes­sio­nel­ler Bruch­stel­len. Sad­dam Hus­sein und die poli­ti­sche Eli­te des Irak waren Sun­ni­ten, die ira­ki­sche Bevöl­ke­rungs­mehr­heit bestand jedoch aus Schii­ten. Hin­zu kam, dass Maß­nah­men der CPA die Kon­fes­sio­na­li­sie­rung eher bestärk­ten als abmil­der­ten. So wur­de etwa der Iraqi Gover­ning Coun­cil (IGC), also fak­tisch die Über­gangs­re­gie­rung des Irak, nach kon­fes­sio­nel­len Gesichts­punk­ten besetzt. Das befeu­er­te die Spal­tung nur noch wei­ter. Schii­ti­sche poli­ti­sche Füh­rer began­nen, Sun­ni­ten aus­zu­gren­zen und Sun­ni­ten sahen sich in der Befürch­tung bestä­tigt, dass ihnen eine demo­kra­ti­sche Ord­nung zum Nach­teil gerei­chen wür­de, waren sie immer­hin in der Minderheit.

Die Sicher­heits­la­ge ver­schlech­ter­te sich rapi­de und spä­tes­tens 2004 hat­te ein aus­ge­wach­se­ner Auf­stand begon­nen. Ein sun­ni­ti­scher Auf­stand nahm sei­nen Aus­gang in der Stadt Fal­lu­ja, aus der sich US-Besat­zungs­trup­pen zurück­zie­hen muss­ten. Gleich­zei­tig begann die Mah­di-Armee mit Offen­siv­ope­ra­tio­nen in Sadr City, Najaf, Ker­ba­la, Kufa und Kut. Begann die­ser Kon­flikt in ers­ter Linie als Auf­stand gegen die US-geführ­te Besat­zung des Irak, wan­del­te er sich jedoch spä­tes­tens 2005 in einen aus­ge­wach­se­nen kon­fes­sio­nel­len Kon­flikt. Der Irak glitt zuse­hends in einen Bür­ger­krieg ab. Auch die has­tig in der US-Bot­schaft ent­wor­fe­ne und schließ­lich ver­ab­schie­de­te Ver­fas­sung beför­der­te den Kon­flikt nur weiter.

Politische Krisen

Erst im Herbst 2007 begann sich die Sicher­heits­la­ge zu sta­bi­li­sie­ren. Das hing vor allem mit einer mas­si­ven Auf­sto­ckung der US-Prä­senz im Irak zusam­men, gleich­zei­tig übten die Nach­bar­staa­ten des Irak Druck auf ihren jewei­li­gen Ein­fluss­be­reich aus, um Spill­over-Effek­te zu ver­mei­den. Außer­dem tra­ten Erschöp­fungs­ef­fek­te auf: die Kon­flikt­par­tei­en hat­ten Ein­fluss­zo­nen eta­bliert, auch durch soge­nann­te „eth­ni­schen Säu­be­run­gen“, inter­ne Macht­kämp­fe klan­gen ab und bestimm­te Grup­pen hat­ten sich schlicht­weg mit Gewalt durch­ge­setzt. Die poli­ti­schen Kri­sen im Irak ende­ten jedoch nicht mit der Sta­bi­li­sie­rung der Sicherheitslage.

Vie­les hing nach 2007 an der Per­son des Pre­mier­mi­nis­ters Nou­ri al-Mali­ki. Mali­ki, der sich gegen die Mah­di-Armee durch­ge­setzt hat­te, agier­te zuse­hends auto­ri­tä­rer, ins­be­son­de­re nach dem Abzug der US-Trup­pen unter Prä­si­dent Oba­ma im Jahr 2010. Hin­zu kam der stei­gen­de Ein­fluss der Isla­mi­schen Repu­blik Iran. Das lös­te wei­te­re Kon­flik­te, ins­be­son­de­re mit der sun­ni­ti­schen Bevöl­ke­rung aus, gegen die sich sei­ne Poli­tik zuse­hends rich­te­te. Die­se Poli­tik, gepaart mit wirt­schaft­li­cher Hoff­nungs- und Per­spek­tiv­lo­sig­keit in der Pro­vinz Anbar bil­de­te den Nähr­bo­den für jiha­dis­ti­sche Grup­pen, ins­be­son­de­re für den soge­nann­ten „Isla­mi­schen Staat“, der zunächst als „al-Qai­da im Irak“ und spä­ter als „Isla­mi­scher Staat im Irak“ auf­trat. Die Kri­se um den „Isla­mi­schen Staat“ kos­te­te Mali­ki 2014 das Amt.

20 Jahre später

Der Irak durch­leb­te in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren ver­schie­dens­te poli­ti­sche Kri­sen. Erst ver­gan­ge­nes Jahr war es zu mona­te­lan­gen Macht­kämp­fen zwi­schen Muq­ta­da as-Sadr und sei­nen poli­ti­schen Kon­kur­ren­ten gekom­men, die im Som­mer auch in Gewalt umge­schla­gen waren. Nach­dem as-Sadr dar­auf­hin dazu auf­rief, die Gewalt zu been­den und sei­nen Rück­zug aus der Poli­tik ankün­dig­te, kam es wei­ter­hin zu gewalt­sa­men Aus­schrei­tun­gen. Erst im Herbst 2022 konn­te ein poli­ti­scher Kom­pro­miss erreicht wer­den und dem Irak gelang ein ers­ter Schritt zur Über­win­dung des poli­ti­schen Still­stands: die Bil­dung einer Regie­rung unter Pre­mier­mi­nis­ter Muham­mad Shia al-Suda­ni. Zwi­schen 2019 und 2022 war es immer wie­der zu Demons­tra­tio­nen und Pro­tes­ten auf­grund zahl­rei­cher wirt­schaft­li­cher und sozia­ler Pro­ble­me gekom­men, der Irak schei­ter­te auf­grund des poli­ti­schen Patts zudem immer wie­der an der Bil­dung einer hand­lungs­fä­hi­gen Regierung.

20 Jah­re nach dem Beginn der US-Inva­si­on im Irak ist offen­sicht­lich: Nicht nur war die Inva­si­on selbst klar völ­ker­rechts­wid­rig, sie war lös­te außer­dem eine Ket­te an Ereig­nis­sen aus, die die poli­ti­sche Lage und die Sicher­heits­la­ge im Irak selbst, aber auch in der Regi­on desta­bi­li­sier­ten. Unbe­ab­sich­tig­te Fol­gen der Inva­si­on waren zwei­fel­los eine stark zuneh­men­de Kon­fes­sio­na­li­sie­rung im Irak, ein nicht trag­fä­hi­ges poli­ti­sches Sys­tem, der wach­sen­de Ein­fluss des Iran auf die Poli­tik im Irak, aber auch das Erstar­ken von extre­mis­ti­schen, jiha­dis­ti­schen Grup­pen wie dem IS. Es erscheint offen­sicht­lich, dass die dama­li­ge, neo­kon­ser­va­ti­ve US-Regie­rung unter Geor­ge W. Bush nicht wuss­te oder wahr­ha­ben woll­te, was ein Krieg gegen den Irak bedeu­tet, näm­lich ein lang­fris­ti­ges, auch mili­tä­ri­sches, Enga­ge­ment. Immer­hin: Auch heu­te noch befin­den sich NATO-Trup­pen im Irak, die die ira­ki­schen Streit­kräf­te ausbilden.

Ein wei­te­res Span­nungs­feld ist das Ver­hält­nis zum Iran. Der Irak ver­sucht einen Akt auf dem Draht­seil, indem er sowohl zu den USA als auch zum Iran gute diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen zu erhal­ten ver­sucht. Inwie­weit dies gelin­gen kann und wird, ist eine spe­ku­la­ti­ve Fra­ge – wie auch die Fra­ge, ob sich der Irak in Zukunft nach­hal­tig sta­bi­li­sie­ren kann. Als Aus­gangs­punkt der aktu­el­len poli­ti­schen Kri­sen und Kon­flik­te muss die völ­ker­rechts­wid­ri­ge Inva­si­on der USA im Irak gese­hen werden.

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