Der Wendepunkt

Am 24. Febru­ar 2022, gegen 6.00 Uhr mor­gens, begann der Angriff Russ­lands auf die Ukrai­ne. In den frü­hen Mor­gen­stun­den die­ses 24. Febru­ars hat­te der rus­si­sche Prä­si­dent Vla­di­mir Putin im Zuge einer Fern­seh­an­spra­che den Beginn einer „Spe­zi­al­ope­ra­ti­on“ der rus­si­schen Streit­kräf­te in der Ukrai­ne ange­kün­digt. In der Rea­li­tät han­del­te es sich um eine Groß­of­fen­si­ve Russ­lands gegen die Ukraine.

Dem waren Mona­te der Spe­ku­la­ti­on und inten­si­ver Ver­hand­lun­gen vor­aus­ge­gan­gen. Russ­land hat­te im Novem­ber 2021 damit begon­nen, Trup­pen an der Ost­gren­ze der Ukrai­ne zusam­men­zu­zie­hen. Mit­un­ter war von bis zu 175.000 Soldat:innen die Rede. Der Zweck die­ses Trup­pen­auf­mar­sches blieb zunächst aller­dings unklar. Han­del­te es sich bloß um eine Droh­ku­lis­se oder erwog Russ­land tat­säch­lich eine Inva­si­on der Ukraine?

Diplomatischer Marathon

Es folg­ten zahl­rei­che diplo­ma­ti­sche Besu­che. Russ­land hat­te For­de­run­gen nach „Sicher­heits­ga­ran­tien“ erho­ben, die de fac­to das Ende der NATO bedeu­tet hät­ten – dies wur­de aber vor allem als rus­si­sche Maxi­mal­for­de­rung ver­stan­den. Also folg­ten Ver­hand­lun­gen: Der fran­zö­si­sche Staats­prä­si­dent Emma­nu­el Macron besuch­te Russ­lands Prä­si­den­ten Putin und der deut­sche Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz absol­vier­te einen Besuch bei US-Prä­si­dent Joe Biden. Auch die Außen­mi­nis­te­rin der „Ampel­ko­ali­ti­on“ Anna­le­na Baer­bock sprach mit ihrem rus­si­schen Amts­kol­le­gen Ser­gei Lavrov und fass­te die diplo­ma­ti­sche Stim­mung kon­zi­se zusam­men: es sei schwer, den mas­si­ven rus­si­schen Trup­pen­auf­marsch nicht als Dro­hung zu ver­ste­hen. Immer­hin schätz­ten selbst ukrai­ni­sche Gene­ra­le, dass Russ­land die Ukrai­ne ohne west­li­che Hil­fe bin­nen weni­ger Tage über­wäl­ti­gen würde.

Für kur­ze Zeit schien die Diplo­ma­tie tat­säch­lich Erfolg zu ver­spre­chen. Nie­mand wol­le Krieg, ganz beson­ders Russ­land nicht, ver­sicherte etwa Lavrov. Der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Volo­di­mir Selen­skyi warn­te vor Alar­mis­mus, das Gere­de vom Krieg sei ledi­glich Panik­ma­che. Macron wie­der­um mein­te, eine Eini­gung sei in unmit­tel­ba­rer Reich­wei­te.

‚Momen­tan grei­fen sie nicht unse­re Erde an, son­dern unse­re Ner­ven. Wir sol­len in stän­di­ger Angst leben‘, sagt Wolo­di­mir Selen­ski mit düs­te­rer Mie­ne an sein Volk gerich­tet über Russ­land und einen mög­li­chen Krieg. ‚Kei­ne Panik‘, ruft der ukrai­ni­sche Prä­si­dent in die Kame­ra […]. Jeden Tag dar­über zu reden oder zu berich­ten, ‚dass der Krieg kommt, wird ihn sicher nicht aufhalten‘[…].

Mathi­as Brügg­mann, Han­dels­blatt, 30. Jän­ner 2022

Dann kam der Pau­ken­schlag: in einer Fern­seh­an­spra­che kün­dig­te Putin an, dass Russ­land die sepa­ra­tis­ti­schen Gebie­te Donezk und Luhansk als unab­hän­gi­ge „Volks­re­pu­bli­ken“ aner­ken­nen wer­de. Deren Bit­ten um Unter­stüt­zung beant­wor­te­te der Kreml mit der Ent­sen­dung rus­si­scher Trup­pen in die Ost­ukrai­ne. Vie­le Beobachter:innen fass­ten die­ses Vor­ge­hen als Kriegs­erklärung Russ­lands an die Ukrai­ne auf. Wie sich her­aus­stell­te, lagen sie damit viel­leicht nicht recht­lich, wohl aber poli­tisch rich­tig. Die Aner­ken­nung der „Volks­re­pu­bli­ken“ Donezk und Luhansk als eigen­stän­di­ge Staa­ten dien­te offen­sicht­lich als Vor­wand und Legi­ti­ma­ti­ons­grund­la­ge für die Ent­sen­dung rus­si­scher Trup­pen in die Ost­ukrai­ne – und auch über die ehe­ma­li­ge Kon­takt­li­nie im Don­bas hinaus.

Mit einem tat­säch­li­chen rus­si­schen Groß­an­griff auf die Ukrai­ne hät­ten nur die wenigs­ten gerech­net. Vie­le glaub­ten an einen Bluff Russ­lands, der den „Wes­ten“ zu Ver­hand­lun­gen zwin­gen soll­te. Die Droh­ku­lis­se an der ukrai­ni­schen Ost­gren­ze war aller­dings der­art umfas­send, dass Zwei­fel an einem blo­ßen Bluff ange­bracht waren. Eher plau­si­bel erschien eini­gen die Vari­an­te, dass sich Russ­land noch nicht end­gül­tig ent­schie­den hat­te, ob es die Ukrai­ne angrei­fen soll­te. Dass Putin tat­sächlich den Angriff befeh­len wür­de, dass in Euro­pa tat­säch­lich ein Krieg begin­nen wür­de, schien den meis­ten abwe­gig bzw. unvor­stell­bar. Auch war unklar, wel­che Zie­le Russ­land tatsäch­lich ver­folg­te. Auch die Sicher­heits­ga­ran­tien, die Russ­land von den USA und der NATO ver­lang­te, lie­ßen es unwahr­schein­lich erschei­nen, dass sich Mos­kau tat­säch­lich für einen Groß­an­griff ent­schei­den wür­de – es schien eher, als wür­de der Kreml die Ukrai­ne und damit den Wes­ten unter Druck set­zen wol­len, um eine Form der Sicher­heits­ga­ran­tien zu erhalten.

Der Wendepunkt

Der 24. Febru­ar 2022 war ein Wen­de­punkt und eine Zäsur in der euro­päi­schen Geschich­te. Der deut­sche Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz nann­te die­sen Tag in sei­ner Regie­rungs­er­klä­rung vom 27. Febru­ar vor dem deut­schen Bun­des­tag eine „Zei­ten­wen­de“.

Wir erle­ben eine Zei­ten­wen­de. Und das bedeu­tet: Die Welt danach ist nicht mehr die­sel­be wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Fra­ge, ob Macht das Recht bre­chen darf, ob wir es Putin gestat­ten, die Uhren zurück­zu­dre­hen in die Zeit der Groß­mäch­te des 19. Jahr­hun­derts, oder ob wir die Kraft auf­brin­gen, Kriegs­trei­bern wie Putin Gren­zen zu setzen.

Olaf Scholz, 27. Febru­ar 2022

In der­sel­ben Rede kün­dig­te Scholz ein immenses Inves­ti­ti­ons­pa­ket für die Bun­des­wehr an. Die­ses umfasst nicht nur ein Son­der­in­ves­ti­ti­ons­pa­ket im Umfang von 100 Mil­li­ar­den Euro, son­dern auch eine Stei­ge­rung des Ver­tei­di­gungs­bud­gets auf über zwei Pro­zent des deut­schen BIP (von 46,9 Mil­li­ar­den auf vor­aus­sicht­lich etwa 71 Mil­li­ar­den Euro). Dar­über hin­aus sol­len nicht nur bewaff­ne­te Droh­nen beschafft, son­dern auch eine rasche Ent­schei­dung für die Nach­fol­ge des bis­he­ri­gen Kampf­jets „Tor­na­do“ getrof­fen wer­den. Am 14. März gab die deut­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lam­brecht die Ent­schei­dung für die Type F‑35 bekannt. Bis­her erschien eine der­ar­ti­ge Inves­ti­ti­on in die Bun­des­wehr unvor­stell­bar, war Deutsch­land doch in Hin­blick auf ver­tei­di­gungs­po­li­ti­sche Fra­gen eher zurückhaltend.

Es ist ein Wen­de­punkt in der Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­po­li­tik. Auch, dass sich die euro­päi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs bei einem infor­mel­len Gip­fel am 11. März 2022 in Ver­sailles dar­auf ei­nig­ten, die Ver­tei­di­gungs­aus­ga­ben zu erhö­hen, damit die EU hand­lungs­fä­hi­ger wird. Wie weit die­se Wil­lens­be­kun­dung – sol­che hat es in der Ver­gan­gen­heit vie­le gege­ben – tat­säch­lich in einer ech­ten, gemein­sa­men Verteidigungspoli­tik Euro­pas mün­den wird, muss aktu­ell offen blei­ben. Ist Euro­pa tat­säch­lich dazu bereit, Verant­wortung für sei­ne eige­ne Sicher­heit zu über­neh­men? Für die Mehr­heit der EU-Mit­glieds­staa­ten ist die NATO-Mit­glied­schaft ver­mut­lich min­des­tens eben­so wich­tig für die Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­po­li­tik. Eine Reform hin zu ech­ter Ein­satz­be­reit­schaft der EU ist ohne sub­stan­zi­el­le Reform­schrit­te kurz- bis mit­tel­fris­tig unwahr­schein­lich. Das erfor­dert poli­ti­schen Wil­len aller Mit­glieds­staa­ten, ansons­ten wird von die­ser Wen­de in der Sicher­heitspolitik der Uni­on nicht viel übrigbleiben.

Dem kann mit eini­gem Recht der Beschluss des Stra­te­gi­schen Kom­pas­ses der Euro­päi­schen Uni­on am 21. März 2022 ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den. Die­ser sieht Refor­men in ver­schie­de­nen Berei­chen vor – Kri­sen­ma­nage­ment, Resi­li­enz, Fähig­kei­ten und Part­ner­schaf­ten. Vor allem aber wur­de der raschen Ein­greif­trup­pe media­le Auf­merk­sam­keit zuteil. Die­se soll die noch nie ein­ge­setz­ten EU-Batt­le­groups erset­zen und bis zum Jahr 2025 die Uni­on dazu befä­hi­gen, bis zu 5.000 Soldat:innen in ein unko­ope­ra­ti­ves (also feind­li­ches) Umfeld zu ent­sen­den. Auch Öster­reich wird sich hier­an betei­li­gen; mit wel­chen kon­kre­ten Fähig­kei­ten ist der­zeit noch nicht fest­ge­legt. Ob die­se Rapid Deploy­ment Capa­bi­li­ty tat­säch­lich ein­ge­setzt wer­den wird, wird sich erst noch weisen.

Die Zäsur

Bereits seit Län­ge­rem wird über die stra­te­gi­sche Auto­no­mie der EU, über die Hand­lungs­fä­hig­keit der Uni­on im Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­be­reich dis­ku­tiert. Auch der Stra­te­gi­sche Kom­pass ist im Lich­te die­ser Dis­kus­si­on zu sehen. Wäh­rend der Prä­si­dent­schaft Donald Trumps war die stra­te­gi­sche Auto­no­mie Euro­pas ver­stärkt Dis­kus­si­ons­ge­gen­stand. Zu nen­nen ist hier vor allem ein bemer­kens­wer­tes Inter­view des Nach­rich­ten­magazins „Eco­no­mist“ mit dem franzö­sischen Staats­prä­si­den­ten Mac­ron aus dem Jahr 2019. Hier­in warn­te Macron davor, dass die NATO „hirn­tot“ zu wer­den drohte.

Hin­ter­grund die­ser Dis­kus­si­on war stets eine sich zuse­hends ver­schlech­tern­de Sicher­heits­la­ge in der euro­päi­schen Nach­bar­schaft. Bei­spiel­haft zu nen­nen wären hier unter ande­rem Mali, Syri­en, Afgha­ni­stan oder auch die Ukrai­ne selbst. Hin­zu kommt eine Zunah­me an hybri­den Akti­vi­tä­ten inner­halb Euro­pas sowie Cyber­an­grif­fe. Euro­pas Sicher­heit muss auch durch Euro­pa ver­ant­wor­tet wer­den. Ein der­art aggres­si­ves, mili­tä­ri­sches Vor­ge­hen wie von Russ­land gegen die Ukrai­ne hat es in Euro­pa jedoch seit Lan­gem nicht gege­ben. Der offen­sicht­li­che Cha­rak­ter des Angriffs­kriegs in einer der­ar­ti­gen Dimen­si­on ist also eine Zäsur.

Blickt man über Euro­pa hin­aus, zeigt sich aller­dings, dass mili­tä­ri­sche Kon­flik­te alles ande­re als sel­ten sind. Bei­spie­le hier­für fin­den sich zuhauf: der Kon­flikt in Afgha­ni­stan, der Bür­ger­krieg in Syri­en, die mili­tä­ri­schen Kon­flik­te in Liby­en und in Mali oder auch der Krieg zwi­schen Azer­bai­jan und Arme­ni­en. Die geo­stra­te­gi­sche Lage in Euro­pa hat sich seit Jah­ren ver­schlech­tert und mili­tä­ri­sche Kon­flik­te sind nicht mehr unge­wöhn­lich. Unge­wöhn­lich und unge­heu­er­lich ist aller­dings die Tat­sa­che, dass ein stän­di­ges Mit­glied des UN-Sicher­heits­rats einen der­art ekla­tan­ten Ver­stoß gegen Arti­kel 2(4) der Char­ta der Ver­ein­ten Natio­nen, das all­ge­mei­ne Gewalt­ver­bot, und dar­über hin­aus mut­maß­li­che Kriegs­ver­bre­chen begeht. Das betrifft vor allem das Bom­bar­de­ment ein­deu­tig zivi­ler Zie­le wie etwa in der Stadt Mariu­pol, aber auch den Ein­satz von ther­mo­ba­ri­schen Waf­fen wie der TOS-1A.

Zeitenwende?

Der viel­leicht größ­te Umbruch ist, dass Euro­pa erkannt hat, dass es bereits seit Län­ge­rem zu einer schlei­chen­den Zei­ten­wen­de kommt, und man sich wach­sen­den Pro­ble­men und Unsi­cher­hei­ten stel­len muss. Die­se zeich­nen sich bereits seit Jah­ren ab. Offen­bar hat erst der Angriff Russ­lands auf die Ukrai­ne gezeigt, dass Euro­pa sei­ne Sicher­heits- und Ver­tei­digungspolitik über­denken soll­te. In Deutsch­land geschieht dies mit mas­si­ven Investi­tio­nen in die Bun­des­wehr und mit einer Bud­get­stei­ge­rung auf über zwei Pro­zent des BIP. Damit wird noch nicht auf­ge­rüs­tet, son­dern erst der Inves­ti­ti­ons­stau beho­ben wer­den. Allei­ne für die Nach­be­schaf­fung von Muni­ti­on scheint ein „zwei­stel­li­ger Mil­li­ar­den­be­trag“ zu feh­len. Auch in Öster­reich wird seit­her eine mög­li­che Bud­get­stei­ge­rung (mehr oder min­der) dis­ku­tiert.

Allei­ne das wird jedoch nicht rei­chen. Russ­land hat bereits gezeigt, dass es wie­der zu einer Logik des Kal­ten Kriegs zurück­ge­kehrt ist. Die Koope­ra­ti­on mit Euro­pa liegt in ver­schie­dens­ten Berei­chen (ver­ständ­li­cher­wei­se) auf Eis. Es ist nicht undenk­bar, dass Russ­land etwa die Man­dats­ver­län­ge­rung von UNIFIL mit einem Veto blo­ckiert. Das betrifft nicht nur den Nahen Osten, son­dern alle geo­gra­fi­schen Räu­me, in denen Öster­reich sei­ne Schwer­punk­te gesetzt hat: Süd­ost­eu­ro­pa, den Nahen Osten, Afri­ka und natür­lich Ost­eu­ro­pa. Wie sich die Sicher­heits­la­ge in die­sen Räu­men ent­wi­ckeln wird, ist der­zeit noch unklar, mit einer Ver­schlech­te­rung ist hin­ge­gen jeden­falls zu rechnen.

Ausblick

Aktu­ell sind Sank­tio­nen und Waf­fen­lie­fe­run­gen die ein­zig gang­ba­ren Mög­lich­kei­ten für die USA und Euro­pa, die Ukrai­ne zu unter­stüt­zen. Ein militäri­sches Ein­grei­fen gegen Russ­land darf hin­ge­gen nicht ernst­haft erwo­gen wer­den. Ein Kon­flikt zwi­schen der NATO, die als ein­zi­ge Orga­ni­sa­ti­on nen­nens­wer­te mili­tä­ri­sche Opera­tionen in der Ukrai­ne durch­füh­ren könn­te, und Russ­land wäre der Auf­takt zu einem poten­zi­ell ver­hee­ren­den Krieg in Euro­pa, mög­li­cher­wei­se sogar eines Weltkriegs.

„Die NATO-Ver­ant­wort­li­chen haben klar erklärt, dass eine Invol­vie­rung von NATO-Strei­t­­kräf­­ten in der Ukrai­ne nicht beab­sich­tigt ist. Wenn rus­si­sche Über­grif­fe auf NATO-Ter­ri­to­ri­um statt­fän­den, wäre das aller­dings ein Fall für den Arti­kel 5 [des Nord­atlantikvertrags], das heißt den Verteidi­gungs­fall für das atlan­ti­sche Bünd­nis, wo der Angriff auf einen Mit­gliedsstaat als Angriff auf alle gewer­tet wird, ein­schließ­lich der Ver­ei­nigten Staaten.“

Gene­ral Brie­ger in der Zeit im Bild 2 vom 24. Febru­ar 2022

Auch eine Mit­glied­schaft der Ukrai­ne in der Euro­päi­schen Uni­on ist rea­lis­ti­scher­wei­se undenk­bar. Ein „Schnell­ver­fah­ren“ für den Bei­tritt gibt es nicht. Erst nach einem lan­gen und kom­ple­xen Ver­fah­ren kann über­haupt erst der Sta­tus als Bei­tritts­kan­di­dat ver­lie­hen wer­den. Dann erst begin­nen die Ver­hand­lun­gen. Im Wesent­li­chen muss ein Land dabei die Kon­ver­genz­kri­te­ri­en (Maas­tricht-Kri­te­ri­en) erfül­len und das gesam­te EU-Recht (acquis com­mun­au­tai­re) in sei­ne Rechts­ord­nung inte­grie­ren. Das ist kein ein­fa­cher Vor­gang, den man signi­fi­kant beschleu­ni­gen könnte.

Vie­le wei­te­re Ent­wick­lun­gen hän­gen vom Ver­lauf des Krie­ges in der Ukrai­ne ab. Auch, wenn sich die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te mehr als her­vor­ra­gend schla­gen und Russ­land emp­find­li­che Ver­lus­te zuge­fügt haben – es wäre ein Feh­ler, Russ­land nun mili­tä­risch zu unter­schät­zen. Zudem besteht immer noch die (unwahr­schein­li­che) Mög­lich­keit, dass Russ­land den Kon­flikt nukle­ar eska­liert, also eine klei­ne­re, tak­ti­sche Atom­waf­fe gegen die Ukrai­ne ein­setzt. Unwahr­schein­lich ist die­ses Sze­na­rio des­halb, da Russ­land mit noch wei­te­ren, schmerz­haf­ten Sank­tio­nen rech­nen muss und sich noch wei­ter inter­national iso­lie­ren wür­de. Ein der­ar­ti­ges Vor­ge­hen mag jedoch wahr­schein­li­cher wer­den, je län­ger der Kon­flikt andauert.

Eine Tat­sa­che bleibt jedoch bestehen und kann nicht weg­dis­ku­tiert wer­den: Euro­pa wird mit Russ­land ein Aus­kom­men fin­den müs­sen. Das wird zwar durch das rus­si­sche Vor­ge­hen in der Ukrai­ne erschwert und wür­de durch den Ein­satz von Nukle­ar­waf­fen fast ver­un­mög­licht. Es bleibt jedoch eine poli­ti­sche Rea­li­tät: Russ­land ist und bleibt der Nach­bar Euro­pas. Wir müs­sen Mos­kau mit­tel- bis lang­fris­tig zu einem Akteur machen, der die Sicher­heits­ar­chi­tek­tur Euro­pas mit­trägt, anstatt sie zu untergraben.

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