Am Ende des unendlichen Kriegs

Ein sil­bern schim­mern­des Flug­zeug in einem wol­ken­lo­sen Him­mel. Ein oran­ge­ro­ter Feu­er­ball. Eine gigan­ti­sche Rauch­säu­le. Als das ers­te Flug­zeug am 11. Sep­tem­ber 2001 um 8.46 Uhr in den Nord­turm des New Yor­ker World Trade Cen­ters ein­schlug, dach­ten man­che Zeug*innen an einen tra­gi­schen Unfall. Dann wur­de das zwei­te Flug­zeug in den Süd­turm gesteu­ert. Damit war ein Unfall aus­ge­schlos­sen. Am 11. Sep­tem­ber, 9/11, hat­te ein Ter­ror­an­schlag auf die USA stattgefunden.

Wendepunkt

Mit einem Mal war die Welt eine ande­re. 9/11 mar­kier­te einen Wen­de­punkt. Die Zeit nach dem Kal­ten Krieg war been­det, der glo­ba­le „Krieg gegen den Ter­ror“ hat­te begon­nen. Unmit­tel­bar nach 9/11 mar­schier­ten die USA in Afgha­ni­stan ein. Die Tali­ban, die damals die afgha­ni­sche Regie­rung bil­de­ten, hat­ten al-Qai­da unter­stützt. 2003 folg­te der Krieg gegen den Irak, obwohl die­ser gar nicht an den Anschlä­gen betei­ligt gewe­sen war. Fälsch­li­cher­wei­se wur­de behaup­tet, dass die­ser Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen besä­ße, um den Krieg zu rechtfertigen.

Seit­her sind 20 Jah­re ver­gan­gen. Der Krieg im Irak hin­ter­ließ ein zer­bro­che­nes, zutiefst gespal­te­nes Land. Wei­te Tei­le des Irak wur­den 2013/14 vom IS erobert, mitt­ler­wei­le ist die­ser zer­schla­gen. Der Irak scheint alles ande­re als sta­bil zu sein, doch im Ver­gleich mit Afgha­ni­stan ist der Irak fast schon eine Erfolgsgeschichte. 

Forever war

Wenn man heu­te um die 20 Jah­re alt ist, kann man sich gar nicht mehr an eine Zeit erin­nern, in der die USA sich nicht in Afgha­ni­stan im Krieg befun­den haben. Die­ser Krieg, zunächst recht erfolg­reich – es gelang, die Tali­ban zu ent­mach­ten – ende­te ein­fach nicht. Die Isla­mis­ten wur­den in den Unter­grund gedrängt und began­nen damit, asym­me­tri­sche Angrif­fe gegen die inter­na­tio­na­len Trup­pen durch­zu­füh­ren. Selbst­mord­an­schlä­ge, Über­fäl­le, ein­fa­che Sprengkörper.

Die Macht der Tali­ban konn­te nie ganz gebro­chen wer­den. Durch den Dro­gen­han­del (Afgha­ni­stan ist der größ­te Hero­in­pro­du­zent der Welt) gelang es ihnen, sich wei­ter zu finan­zie­ren. Mitt­ler­wei­le sind die Tali­ban so stark wie schon seit Jah­ren nicht mehr.

Donald Trumps Lösung hier­für war es, das Gespräch mit den Tali­ban zu suchen. Aus einer Ame­ri­ca-First-Logik her­aus war es für ihn nicht ein­zu­se­hen, war­um tau­sen­de US-Sol­da­ten für die Sta­bi­li­tät Afgha­ni­stans ihr Leben las­sen soll­ten. Also ver­such­te er, eine Ver­hand­lungs­lö­sung zu errei­chen. Das gelang, allein die afgha­ni­sche Regie­rung in Kabul war nicht in die Gesprä­che ein­ge­bun­den. Die­se soll­te selbst einen Frie­den mit den Tali­ban aus­han­deln, damit die USA end­lich abzie­hen konn­ten. Am Ende war an einen Abzug der inter­na­tio­na­len Trup­pen nicht zu den­ken, die­se Ver­hand­lun­gen zwi­schen Kabul und den Tali­ban nicht annä­hernd erfolgreich.

Zurück auf Null

Auch Joe Biden möch­te den längs­ten Krieg der US-Geschich­te been­den und hat ein kon­kre­tes Abzugs­da­tum genannt: den 11. Sep­tem­ber 2021. Kon­kre­te Daten für den Abzug gab es bereits in der Ver­gan­gen­heit, doch die­se waren alle­samt nicht ein­zu­hal­ten. Der Grund: Beden­ken, dass Afgha­ni­stan rasch nach dem inter­na­tio­na­len Abzug an die Tali­ban zurück­fal­len würde.

Das kenn­zeich­net auch die der­zei­ti­ge Situa­ti­on. Die Tali­ban wis­sen auch ganz genau, dass sie wahr­schein­lich mili­tä­risch gegen Kabul gewin­nen wür­den. In die­sem Fall ist aber der Anreiz, zu ver­han­deln, nur dann gege­ben, wenn die USA die Zen­tral­re­gie­rung wei­ter­hin unter­stüt­zen. Gibt es ein kon­kre­tes Abzugs­da­tum, müs­sen sie nur durch­hal­ten, bis die USA end­gül­tig fort sind. 

Ein Abzug der USA bedeu­tet also, dass jeg­li­cher Erfolg seit 2001, den die inter­na­tio­na­le Koali­ti­on viel­leicht erzielt haben mag, ver­lo­ren sein wird. Das betrifft die Herr­schaft der Tali­ban, das poli­ti­sche Sys­tem Afgha­ni­stans, das Trai­ning der Sicher­heits­kräf­te, die Fort­schrit­te bei den Frauenrechten.

Afghanistan ist nicht zu gewinnen

Doch muss auch nüch­tern Bilanz gezo­gen wer­den. Afgha­ni­stan ist kein erfolg­rei­ches Bei­spiel des Sta­te Buil­ding, ganz im Gegen­teil. Der Krieg hat fast eine Bil­li­on US-Dol­lar ver­schlun­gen und die poli­ti­sche Land­schaft ist von Unei­nig­keit, Kon­flik­ten und Kor­rup­ti­on gekenn­zeich­net. Die Gesell­schaft Afgha­ni­stans ist stark von eth­ni­schen Grup­pen und Clans geprägt und es ist sehr wahr­schein­lich, dass, wür­den die Tali­ban besiegt wer­den, es trotz­dem einen bewaff­ne­ten Kon­flikt in Afgha­ni­stan geben würde.

Das ist die Logik hin­ter Joe Bidens Ent­schei­dung, nun­mehr end­gül­tig abzu­zie­hen. Seit 20 Jah­ren ver­sucht die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft Afgha­ni­stan zu sta­bi­li­sie­ren und wie­der auf­zu­bau­en. Der Krieg dau­ert sogar nun schon seit 43 Jah­ren an. An einem gewis­sen Punkt ist es berech­tigt, sich die Fra­ge zu stel­len, ob ein mili­tä­ri­sches Enga­ge­ment über­haupt noch sinn­voll ist.

Ein weiterer Wendepunkt

Bit­ter ist allei­ne die Tat­sa­che, dass eine Ver­hand­lungs­lö­sung im Augen­blick zumin­dest theo­re­tisch als mög­lich erscheint. Jedoch wer­den die­se Ver­hand­lun­gen wahr­schein­lich schei­tern. Ab wann gesteht man sich also die Unaus­weich­lich­keit des eige­nen Miss­erfolgs ein? Die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft hat es in 20 Jah­ren nicht geschafft, Afgha­ni­stan zu sta­bi­li­sie­ren. Dar­an wür­den ver­mut­lich auch wei­te­re zehn Jah­re nichts ändern. Der 11. Sep­tem­ber 2021 ist aller­dings noch eini­ge Mona­te ent­fernt. Man wird also sehen, ob die­ses Mal der Abzug tat­säch­lich erfolgt – oder er nicht doch noch ein­mal ver­scho­ben wird.

Bei­trags­bild: timsimages.uk/shutterstock.com

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