Nukleare Windmühlen

Am 6. August 1945 kommt ein klei­nes, sil­ber­nes Flug­zeug in Sicht­wei­te der japa­ni­schen Stadt Hiro­shi­ma. Die japa­ni­sche Luft­waf­fe fängt ein­zel­ne Auf­klä­rungs­flug­zeu­ge zu die­sem Zeit­punkt nicht mehr ab; zu groß ist der Auf­wand im Ver­gleich zum Nut­zen. US-ame­ri­ka­ni­sche Bom­ber vom Typ B‑29 kön­nen auf unge­fähr 10.000 Meter Höhe auf­stei­gen, die­ses Flug­zeug fliegt mit etwas über 9.000 Metern nicht ganz so hoch. Plötz­lich, etwa über dem Zen­trum der Stadt, wird eine Bom­be aus­ge­klinkt. Das Flug­zeug fliegt eine schar­fe Wen­de. Die Besat­zung hat gan­ze 45 Sekun­den, um sich in Sicher­heit zu brin­gen. Dann ereig­net sich eine Explo­si­on, die den Ver­lauf der Geschich­te verändert.

Für die Men­schen in der Stadt wirkt es fast, als wür­de eine zwei­te Son­ne auf­ge­hen. Dann folgt die Druck­wel­le. Die Erzäh­lun­gen der Über­le­ben­den glei­chen alp­traum­haf­ten Hor­ror­sze­na­ri­en. Men­schen, die bin­nen des Bruch­teils einer Sekun­de zu Asche ver­bren­nen, als hät­te es sie nie gege­ben, haben noch ver­gleichs­wei­se Glück. Man­che ster­ben dar­an, dass Gebäu­de über ihnen ein­stür­zen als wären sie aus Pap­pe. Ande­re an den Wun­den, die zer­bors­te­nes Glas ver­ur­sacht. Die Hit­ze schmilzt Haut und Fleisch von Kno­chen, brennt den Stoff der Klei­dung in die Haut ein und lässt gan­ze Stadt­tei­le in einer Feu­ers­brunst unter­ge­hen. Hiro­shi­ma bestand damals, bis auf ein paar Beton­bau­ten im Zen­trum der Stadt, haupt­säch­lich aus Holz.

Inner­halb einer Sekun­de waren 80 Pro­zent der Innen­stadt Hiro­shi­mas ver­nich­tet. Zwi­schen 70.000 und 80.000 Men­schen wur­den von der Hit­ze der Explo­si­on getö­tet. Hin­zu kamen die Toten durch radio­ak­ti­ve Strah­lung und Fall­out; ins­ge­samt star­ben zwi­schen 90.000 und 166.000 Menschen.

Man­che Men­schen über­le­ben, fürch­ter­lich ver­stüm­melt, für ein paar qual­vol­le Stun­den. Dann ster­ben sie einen grau­en­vol­len Tod. Ande­re ver­su­chen, sich im Fluss vor dem Infer­no zu ret­ten. Sie ster­ben spä­ter. Denn unter den Über­le­ben­den tre­ten Sym­pto­me auf, die wie eine Krank­heit wir­ken. Zunächst ist es Haar­aus­fall, dann ent­wi­ckeln sie rote Fle­cken über­all auf dem Kör­per. Das radio­ak­tiv kon­ta­mi­nier­te Was­ser führt schließ­lich zu inne­ren Blu­tun­gen, an denen die­se Men­schen unter Qua­len sterben.

Kalte Hölle

Beschäf­tigt man sich mit Atom­waf­fen, soll­te man zuerst an die Opfer der bei­den ein­zi­gen Atom­waf­fen­ein­ät­ze im Krieg den­ken. Jene Toten in den japa­ni­schen Städ­ten Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki, die die furcht­ba­re Macht die­ser Waf­fen am eige­nen Leib erfah­ren muss­ten. Der Ein­satz von Atom­waf­fen ist per se grau­en­voll und inhu­man. Atom­bom­ben töten unter­schieds­los, sie kön­nen also nicht ziel­ge­rich­tet nur gegen mili­tä­ri­sche Ein­rich­tun­gen ein­ge­setzt wer­den. Das bedeu­tet, dass sie zwangs­läu­fig zivi­le Opfer for­dern. Viel­leicht wur­den sie des­we­gen nie­mals wie­der in einem Krieg ein­ge­setzt; viel­leicht aber auch, weil sowohl die USA als auch die USSR wuss­ten, dass ein Ein­satz auch die eige­ne Ver­nich­tung bedeu­ten wür­de. Die „Mutual­ly Assu­red Des­truc­tion“ (MAD) oder „wech­sel­sei­ti­ge zuge­si­cher­te Ver­nich­tung“ bestimmt fort­an die Struk­tur der inter­na­tio­na­len Beziehungen. 

Wann genau der Kal­te Krieg zwi­schen Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Sowjet­uni­on begon­nen hat ist Defi­ni­ti­ons­sa­che. Man­che füh­ren hier­zu die Tru­man-Dok­trin 1947 ins Feld, ande­re die Ber­lin-Blo­cka­de 1948. Doch erst mit der Zün­dung der ers­ten sowje­ti­schen Atom­bom­be 1949 wur­de klar, dass ein Krieg zwi­schen die­sen bei­den Staa­ten zu einem Atom­krieg wer­den könn­te, was mög­li­cher­wei­se völ­li­ge Ver­nich­tung bedeu­ten wür­de. An den Rand eines sol­chen Kriegs geriet die Welt 1962 im Zuge der Kuba-Kri­se. Erst­mals gelang­te man zu der Erkennt­nis, dass ein Ein­satz von Atom­waf­fen weder aus­ge­schlos­sen oder gar unwahr­schein­lich war. Das Resul­tat: Déten­te und Abrüs­tung. Eine vor­sich­ti­ge Ent­span­nungs­po­li­tik leg­te den Grund­stein für stra­te­gi­sche Abrüs­tungs­ver­trä­ge Stra­te­gic Arms Limi­ta­ti­on Talks (SALT).

Atomwaffenfrei

Abrüs­tung bis hin zu einer Welt ohne Atom­waf­fen ist das mög­lich? Atom­waf­fen wur­den, mit der tra­gi­schen Aus­nah­me von Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki nie ein­ge­setzt. Mitt­ler­wei­le ist über­haupt frag­lich, ob Atom­waf­fen jemals ein­ge­setzt wer­den kön­nen. Die Mutual­ly Assu­red Des­truc­tion scheint einem all­ge­mei­nen Ein­ver­ständ­nis gewi­chen zu sein, dass man sei­ne jewei­li­gen nuklea­ren Kapa­zi­tä­ten inter­na­tio­nal schlicht nicht ein­setzt. Selbst der ehe­ma­li­ge Gene­ral­stabs­chef, Natio­na­le Sicher­heits­be­ra­ter und Außen­mi­nis­ter der Ver­ei­nig­ten Staa­ten, Gene­ral Colin Powell, sieht Atom­waf­fen mitt­ler­wei­le als „nutz­los“ an.

The one thing that I con­vin­ced mys­elf after all the­se years of expo­sure to the use of nuclear wea­pons is that they were use­l­ess. They could not be used.

Gen. Colin Powell

War­um also die­se Waf­fen nicht ver­bie­ten? Was spricht dage­gen, außer, dass kei­ne Men­schen von einer Atom­ex­plo­si­on ein­ge­äschert oder vom nuklea­ren Fall­out lang­sam ver­gif­tet wer­den? Die meis­ten inter­na­tio­na­len Ver­trags­wer­ke, die sich mit Atom­waf­fen befas­sen, ver­su­chen, die­se auf unter­schied­li­che Arten ein­zu­he­gen. Der Non-Pro­li­fe­ra­ti­on Trea­ty (NPT) basiert auf nuklea­rer Abrüs­tung, der Com­pre­hen­si­ve Nuclear Test Ban Trea­ty (CTBT) auf dem Ver­bot von Atom­waf­fen­tests – und der Trea­ty on the Pro­hi­bi­ti­on of Nuclear Wea­pons (TPNW) ver­bie­tet Nukle­ar­waf­fen an und für sich.

Zu schön, um wahr zu sein

Ein Ver­trag, der alle Atom­waf­fen auf der Erde ver­bie­tet? Kei­ner darf sie mehr besit­zen, lagern, trans­por­tie­ren und schon gar nicht ein­set­zen? Das klingt zu schön, um wahr zu sein – und ist es auch. Denn von einem inter­na­tio­na­len Ver­trag sind nur jene Staa­ten gebun­den, die die­sen rati­fi­ziert haben. Erklärt sich ein Staat von einem Ver­trag gebun­den, gilt die­ser Ver­trag (manch­mal mit Ein­schrän­kun­gen) gegen­über allen ande­ren Ver­trags­par­tei­en. Nun haben den TPNW 50 Staa­ten unter­zeich­net und rati­fi­ziert, was bedeu­tet, dass er mit heu­te offi­zi­ell in Kraft getre­ten ist. Aller­dings wur­de der TPNW von kei­ner ein­zi­gen Atom­macht rati­fi­ziert. Weder Frank­reich, noch Groß­bri­tan­ni­en, Indi­en, Isra­el, Nord­ko­rea, Paki­stan, Russ­land oder die Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Auch Deutsch­land und die Schweiz müs­sen sich nicht an den Ver­trag hal­ten – eben­so­we­nig Japan, das ein­zi­ge Opfer eines Atombombenangriffs.

Das liegt an eini­gen real­po­li­ti­schen Pro­ble­men eines der­ar­ti­gen Ver­trags­werks. Auch, wenn sich die meis­ten Staa­ten dar­über einig sind, dass Atom­waf­fen furcht­ba­re, angst­ein­flö­ßen­de und grau­sa­me Waf­fen sind – für man­che Staa­ten sind sie dar­über hin­aus auch eine Lebens­ver­si­che­rung. Der Kal­te Krieg ist dafür nur ein Bei­spiel. Frank­reich, Indi­en, Paki­stan, Isra­el und Nord­ko­rea unter­hal­ten aus einem ein­zi­gen Grund ein Atom­waf­fen­pro­gramm: um einen Angriff auf ihr Hoheits­ge­biet so kost­spie­lig zu machen, dass ein jeder poten­zi­el­le Angrei­fer davon abge­hal­ten wird. Das ist auch der Grund, aus dem Atom­waf­fen mit ziem­li­cher Sicher­heit ein Teil der Streit­kräf­te die­ser Staa­ten blei­ben werden.

Der Kampf gegen nukleare Windmühlen

Ist also der Ver­such, Atom­waf­fen zu ver­bie­ten, zum Schei­tern ver­ur­teilt? Ich wer­de ehr­lich sein: ich hof­fe, nicht. Aber man soll­te nicht mit sei­nem durch­schla­gen­den Erfolg rech­nen. Doch was ist die Alter­na­ti­ve? Immer­hin schie­nen die Abrüs­tungs­be­mü­hun­gen von USA und Russ­land zu sto­cken. Zuletzt hat­te sich der ehe­ma­li­ge US-Prä­si­dent Donald Trump gewei­gert, den New-START-Abrüs­tungs­ver­trag mit Russ­land zu ver­län­gern und kün­dig­te den INF-Ver­trag auf. Die neue Biden-Admi­nis­tra­ti­on kün­dig­te zwar an, New START ver­län­gern zu wol­len, doch lau­fen Ver­hand­lun­gen zu Rüs­tungs­kon­troll­ab­kom­men bis­wei­len recht zäh – vor­sich­tig for­mu­liert. Trotz­dem blei­ben bila­te­ra­le Abrüs­tungs­be­mü­hun­gen die ein­zi­ge Mög­lich­keit, um die Anzahl der Atom­waf­fen zu reduzieren.

Für Atom­mäch­te lie­gen dar­in auch Vor­tei­le. Redu­ziert man die Anzahl der Atom­waf­fen, redu­ziert das eben­falls die Kos­ten für ent­spre­chen­de Infra­struk­tur: Rake­ten­si­los, Trans­port­ka­pa­zi­tä­ten, Per­so­nal. Gera­de die USA, deren Silos teil­wei­se in erschre­ckend schlech­tem Zustand sind, müs­sen an einer Kos­ten­re­duk­ti­on Inter­es­se haben. Abrüs­tung wür­de ihnen ermög­li­chen, Kos­ten zu spa­ren und die Wahr­schein­lich­keit von Unfäl­len zu ver­min­dern. Da aber auch vie­le Jobs an die­sen Ein­rich­tun­gen hän­gen, brau­chen die USA einen guten Grund, um ihre nuklea­ren Kapa­zi­tä­ten zu reduzieren.

Der Weg ist noch steinig

Der Atom­waf­fen­ver­bots­ver­trag ist zu schön, um wahr zu sein. Das bedeu­tet nicht, dass es nicht ein posi­ti­ver Schritt war, die­sen auf den Weg zu brin­gen. Immer­hin: Öster­reich war füh­rend an die­sem Ver­trag betei­ligt, unge­ach­tet der diplo­ma­ti­schen Kon­se­quen­zen. Viel­leicht erzeugt der TPNW auch genü­gend real­po­li­ti­schen Druck. Den­noch soll­ten in ers­ter Linie Abrüs­tungs­be­mü­hun­gen fort­ge­setzt wer­den, um Nukle­ar­waf­fen­ar­se­na­le mög­lichst zu redu­zie­ren. Das erscheint als der poli­tisch sinn­volls­te Weg, um unmit­tel­ba­re Gefah­ren zu redu­zie­ren und Arse­na­le so weit zu ver­klei­nern, dass deren kom­plet­te Abschaf­fung kein gro­ßer Ver­lust mehr wäre.