Nordmazedoniens europäischer Weg

Der gro­ße Pre­s­pa-See ist ein unbe­rühr­tes Natur­ju­wel. Unge­fähr drei Stun­den von Skop­je ent­fernt, liegt der See im Drei­län­der­eck zwi­schen Alba­ni­en, Grie­chen­land und Nord­ma­ze­do­ni­en. Fern­ab von der Hek­tik des All­tags fin­det man eine un­be­rühr­te Seen­land­schaft mit kris­tall­kla­rem Was­ser, eine gro­ße Arten­viel­falt und auf der im Zen­trum des Sees gele­ge­nen Insel sogar römi­sche Ruinen.

Doch in gewis­ser Wei­se sym­bo­li­siert der See weit mehr als ein traum­haf­tes Urlaubs­ziel: Er steht sinn­bild­lich für die eu­ro­pä­i­sche Ei­ni­gung. Nicht nur, dass er auf dem Gebiet von drei euro­päi­schen Staa­ten liegt. Dort wur­de auch das his­to­ri­sche Pre­s­pa-Abkom­men zwi­schen Maze­do­ni­en und Grie­chen­land ge­schlos­sen, wel­ches den Namens­streit bei­le­gen soll­te. Die­ses sieht vor, dass Maze­do­ni­en sei­nen Namen in „Repu­blik Nord­ma­ze­do­ni­en“ ändert. Im Gegen­zug ver­pflich­te­te sich Grie­chen­land, sei­nen Wider­stand gegen die Auf­nah­me Nord­ma­ze­do­ni­ens in EU und NATO auf­zu­ge­ben. Nach einer Zit­ter­par­tie sowohl im grie­chi­schen als auch im nord­ma­ze­do­ni­schen Par­la­ment wur­de das Pre­s­pa-Abkom­men schließ­lich ange­nom­men. Die ehe­ma­li­ge jugo­sla­wi­sche Repu­blik Maze­do­ni­en änder­te offi­zi­ell ihren Namen in Repu­blik Nordmazedonien.

Der Weg nach Euro­pa war aber noch nicht frei, denn 2019 stimm­te Frank­reichs Prä­si­dent Macron gegen die Auf­nah­me von Bei­tritts­ge­sprä­chen mit Alba­ni­en und Nord­ma­ze­do­ni­en. Es brau­che, bevor die Gesprä­che begin­nen könn­ten, erst sub­stan­zi­el­le Refor­men des EU-Erwei­te­rungs­me­cha­nis­mus, so der fran­zö­si­sche Prä­si­dent. Die meis­ten Beob­ach­ter jedoch hiel­ten das für einen schwe­ren Feh­ler – inklu­si­ve des ehe­ma­li­gen Kom­mis­si­ons­prä­si­den­ten Jun­cker. Die­ser bezeich­ne­te das fran­zö­si­sche Veto als „his­to­ri­schen Feh­ler“. Denn es ist in ers­ter Linie die Glaub­wür­dig­keit Euro­pas, die auf dem Spiel steht.

If the EU is to be respec­ted in the world, it has to stick to its promises.

 Jean-Clau­de Juncker

Von Ohrid nach Prespa

Für Nord­ma­ze­do­ni­en war die­se Ent­schei­dung dop­pelt hart, denn Skop­je hat bereits einen wei­ten Weg in Rich­tung Euro­pa zurück­ge­legt. Nach dem Zer­fall Jugo­sla­wi­ens 1991 und der Auf­nah­me einer Viel­zahl von Flücht­lin­gen aus dem Koso­vo 1999 kam es in Maze­do­ni­en selbst zu bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zustän­den. Erst mit dem Rah­men­ab­kom­men von Ohrid wur­de ein Waf­fen­still­stand zwi­schen der alba­ni­schen UÇK und der maze­do­ni­schen Regie­rung geschlos­sen. Nach­dem dem Land 2005 der Sta­tus eines Bei­tritts­kan­di­da­ten ver­lie­hen wur­de, stock­te Maze­do­ni­ens Ent­wick­lung. Der kon­ser­va­ti­ve Pre­mier­mi­nis­ter Niko­la Gruev­ski schaff­te es nicht, wich­ti­ge poli­ti­sche Initia­ti­ven zu set­zen, im Gegenteil.

Die Flücht­lings­kri­se 2015 setz­te Skop­je noch mehr unter Druck. Weder war das Land selbst dazu imstan­de, den Durch­zug von tau­sen­den Flücht­lin­gen zu admi­nis­trie­ren, noch erhielt man Hil­fe von der EU. Doch Gruev­ski geriet erst dann unter Zug­zwang, als ein mas­si­ver Kor­rup­ti­ons­skan­dal auf­ge­deckt wur­de. Der dama­li­ge Oppo­si­ti­ons­füh­rer Zoran Zaev warf dem Pre­mier­mi­nis­ter vor, min­des­tens 20.000 Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens abzu­hö­ren und Staats­gel­der zu ver­un­treu­en. Nach­dem er zurück­ge­tre­ten war, erhielt Gruev­ski poli­ti­sches Asyl in Ungarn. Dies jedoch erst, nach­dem man ihn in unga­ri­schen Diplo­ma­ten­fahr­zeu­gen und mit gefälsch­tem bul­ga­ri­schem Pass quer durch Alba­ni­en, Mon­te­ne­gro und Ser­bi­en nach Ungarn geschmug­gelt hat­te. Buda­pest ver­wei­gert seit­her Gruevskis Aus­lie­fe­rung an Nordmazedonien.

Als neu­er Pre­mier­mi­nis­ter hat Zoran Zaev eini­ge wich­ti­ge Reform­schrit­te gesetzt, allen vor­an in den Berei­chen der Jus­tiz und der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung. Es ist vor allem der Reform­wil­le der der­zei­ti­gen regie­ren­den Par­tei SDSM, die den Aus­schlag für wich­ti­ge Reform­be­stre­bun­gen gege­ben hat. Allen vor­an sind es natür­lich Zaev, aber auch die Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rin Rad­mi­la Šeker­ins­ka, die eine euro­päi­sche Per­spek­ti­ve Nord­ma­ze­do­ni­ens für zen­tral hal­ten und daher ver­stärkt den inter­na­tio­na­len Dia­log suchen. Ohne deren Initia­ti­ve hät­te es wahr­schein­lich im Namens­streit kei­nen Kom­pro­miss gegeben.

Der weite Weg

Die Reform­be­stre­bun­gen haben sich letzt­lich doch gelohnt. Ver­gan­ge­ne Woche haben die 27 EU-Mit­glieds­staa­ten den Beginn von Bei­tritts­ge­sprä­chen mit Nord­ma­ze­do­ni­en und Alba­ni­en im Rat beschlos­sen. Auch, wenn eine Bestä­ti­gung der Staats- und Regie­rungs­chefs noch aus­steht, ist das ein wich­ti­ges Zei­chen dafür, dass es Euro­pa doch ernst neh­men könn­te mit der Auf­nah­me der West­bal­kan-Staa­ten. Das wie­der­um zeigt, dass man sich von der wich­ti­gen Rol­le als inter­na­tio­na­ler Sta­bi­li­täts­fak­tor noch nicht ver­ab­schie­det hat.

Mit der heu­ti­gen poli­ti­schen Eini­gung über die Auf­nah­me von Bei­tritts­ver­hand­lun­gen mit Alba­ni­en und der Repu­blik Nord­ma­ze­do­ni­en wer­den die inten­si­ven Reform­be­mü­hun­gen die­ser bei­den Län­der aner­kannt. Bei­de haben die kla­re poli­ti­sche Ent­schlos­sen­heit gezeigt, auf ihrem Weg in die Euro­päi­sche Uni­on vor­an­zu­kom­men. Der Weg zum Bei­tritt ist lang. Wenn jedoch ech­te und nach­hal­ti­ge Fort­schrit­te bei der Erfül­lung der Bei­tritts­kri­te­ri­en erzielt wer­den, bringt das die Part­ner im west­li­chen Bal­kan näher an die EU heran.

Andre­ja Metel­ko-Zgom­bić, kroa­ti­sche Staats­se­kre­tä­rin für euro­päi­sche Angelegenheiten

Die meis­ten West­bal­kan-Staa­ten haben berech­tig­tes Inter­es­se an einem EU-Bei­tritt. Wirt­schaft­li­che Grün­de spie­len eben­so eine wich­ti­ge Rol­le wie das Mit­spra­che­recht bei der Ent­schei­dungs­fin­dung und die erwar­te­te poli­ti­sche Sta­bi­li­tät. Im Gegen­zug müs­sen die­se Staa­ten jedoch weit­rei­chen­de Refor­men durch­füh­ren – bei­spiels­wei­se Refor­men im Bereich des Sicher­heits­sek­tors oder der Rechts­staat­lich­keit. Haben sie jedoch kei­ne Aus­sicht, tat­säch­lich in die EU auf­ge­nom­men zu wer­den, schwin­det auch das Inter­es­se an lang­wie­ri­gen, schwie­ri­gen und auf­wän­di­gen Reformen.

Die­ser Reform­wil­le wird aller­dings noch wei­te­ren, gewich­ti­gen Tests unter­zo­gen wer­den. Viel Geduld ist erfor­der­lich, um die Bei­tritts­ge­sprä­che erfolg­reich zum Abschluss zu brin­gen. Das zeigt bei­spiels­wei­se ein Blick auf die Bei­tritts­ge­sprä­che mit dem Bei­tritts­kan­di­da­ten, des­sen Aus­sich­ten, bald bei­zu­tre­ten am bes­ten bewer­tet wer­den: Ser­bi­en. In den Ver­hand­lun­gen mit Ser­bi­en, die 2009 begon­nen haben, wur­den gera­de ein­mal zwei von 35 Kapi­teln geschlossen.

Eine Frage europäischer Glaubwürdigkeit

Der Beschluss, nun Bei­tritts­ge­sprä­che mit Nord­ma­ze­do­ni­en und Alba­ni­en zu eröff­nen, ist über­fäl­lig. Doch die euro­päi­sche Glaub­wür­dig­keit auf dem Bal­kan ist damit noch nicht wie­der­her­ge­stellt. Die meis­ten Men­schen vor Ort haben wohl die Hoff­nung auf­ge­ge­ben, den EU-Bei­tritt ihrer jewei­li­gen Staa­ten noch zu erle­ben. Zu lan­ge hat man die West­bal­kan-Staa­ten auf die lan­ge Bank gescho­ben. Zu lan­ge hat man sie ver­trös­tet und Anfor­de­run­gen an sie gestellt, die sie bei Erfül­lung doch nicht dazu berech­ti­gen, Bei­tritts­ver­hand­lun­gen zu begin­nen. So gese­hen ist der Beschluss des Rats ein Trost­pflas­ter. Es ist eine rea­le Mög­lich­keit, dass die Ver­hand­lun­gen sich noch sehr lan­ge hin­zie­hen und nach deren Abschluss gibt es kei­ne Garan­tie, kei­nen Auto­ma­tis­mus dafür, dass ein EU-Bei­tritt mög­lich ist.

Für die Glaub­wür­dig­keit Euro­pas wäre das ein Armuts­zeug­nis son­der­glei­chen und gewis­ser­ma­ßen eine Ein­la­dung dazu, sich ander­wei­tig zu ori­en­tie­ren – Russ­land, Chi­na, die Tür­kei. Eine euro­päi­sche Per­spek­ti­ve der West­bal­kan-Staa­ten auf­recht zu erhal­ten, wäre aber für die Sta­bi­li­tät und die Sicher­heit der Regi­on uner­läss­lich. Die Aus­sicht, Kon­flik­te mit fried­li­chen Mit­teln bei­zu­le­gen, um die Mit­glied­schaft in der EU nicht zu gefähr­den, ist ein wesent­li­cher Anreiz. Glaub­wür­dig­keit in die­sem Zusam­men­hang heißt auch, dass dem grü­nen Licht für Ver­hand­lun­gen letzt­lich auch ein Bei­tritt fol­gen muss. Die Alter­na­ti­ve wäre, uns von der geo­po­li­ti­schen Ver­ant­wor­tung Euro­pas zu verabschieden.

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