Frankensteins Land

Afgha­ni­stan ist ein Land vol­ler Gegen­sät­ze, ein bun­tes Land, wie man es sich kaum vor­stel­len kann. Es wer­den eine Viel­zahl an Spra­chen gespro­chen, die wich­tigs­ten Volks­grup­pen sind Pasch­tu­nen, Usbe­ken, Taji­ken und Haza­ra. Im Som­mer ist es nicht unüb­lich, dass die Tem­pe­ra­tu­ren 40 bis 50°C errei­chen. Star­ke, tro­cke­ne Win­de machen die Wüs­ten­hit­ze noch uner­träg­li­cher. Im Win­ter hin­ge­gen gibt es Gegen­den, in denen die Tem­pe­ra­tur weit unter den Gefrier­punkt fällt. Dann erreicht das Ther­mo­me­ter teil­wei­se ‑25°C. Auch Schnee­fall ist kei­ne Sel­ten­heit. Täler und Tief­ebe­nen prä­gen die afgha­ni­sche Land­schaft eben­so wie lan­ge Flüs­se und hohe Ber­ge – der Hin­du­kusch ist gewis­ser­ma­ßen eine Ver­län­ge­rung des Hima­la­ya. In den Ber­gen wächst kaum etwas, doch in tie­fer gele­ge­nen Regio­nen fin­det sich eine teil­wei­se durch­aus üppi­ge Vege­ta­ti­on. In man­chen Gegen­den blü­hen Blu­men in ver­schie­de­nen Far­ben: weiß, pink, rot.

Wenn man es nicht weiß, dann wir­ken die­se Blu­men far­ben­froh und schön. Wenn man es nicht bes­ser wüss­te, dann könn­te man glau­ben, man stün­de mit­ten in einem Para­dies. Doch in Wahr­heit steht man im Zen­trum des welt­wei­ten Hero­in­han­dels. Gan­ze 82 Pro­zent der welt­weit kon­su­mier­ten Opi­ate kom­men aus Afgha­ni­stan. Laut des World Drug Report des United Nati­ons Office on Drugs and Crime (UNODC) wur­de 2018 auf ins­ge­samt 263.000 Hekt­ar land­wirt­schaft­li­cher Flä­che in Afgha­ni­stan Schlaf­mohn zur Pro­duk­ti­on von Hero­in ange­baut. In den zweit- und dritt­größ­ten Hero­in­pro­du­zen­ten der Welt, Myan­mar und Mexi­ko, wer­den jeweils ledig­lich 37.300 bzw. 30.600 Hekt­ar Anbau­flä­che zur Pro­duk­ti­on von Opi­aten genutzt.

Das goldene Dreieck

Glo­bal pro­duc­tion of opi­um was even more affec­ted than was cul­ti­va­ti­on by the drought in Afgha­ni­stan, which pro­du­ced 82 per cent of the world’s opi­um in 2018. After an upward trend over the last two deca­des, glo­bal pro­duc­tion fell by 25 per cent from 2017 to 2018, to some 7,790 tons. Despi­te that drop, the amount of opi­um pro­du­ced was the third lar­gest amount sin­ce UNODC star­ted to sys­te­ma­ti­cal­ly moni­tor opi­um pro­duc­tion in the 1990s.

 UNODC, World Drug Report 2019

Trotz die­ses star­ken Rück­gangs war es der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft bis dato nicht mög­lich, den Opi­at­han­del aus Afgha­ni­stan in signi­fi­kan­tem Aus­maß ein­zu­schrän­ken – und damit die Finan­zie­rungs­quel­le der Tali­ban anzu­grei­fen. Iro­ni­scher­wei­se hat­ten die USA einen Plan aus­ge­ar­bei­tet, um die füh­ren­den Figu­ren die­ses de-fac­to-Dro­gen­kar­tells aus dem Spiel zu neh­men. Eine gemein­sa­me Ope­ra­ti­on des US-Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums und der Dro­gen­be­hör­de DEA hät­te vor­ge­se­hen, füh­ren­de Mit­glie­der der Tali­ban, die im Dro­gen­han­del aktiv sind, zu ver­haf­ten und in die USA zu ver­brin­gen. Die­ser Plan hät­te die Isla­mis­ten und ihre Finanz­quel­len hart getrof­fen, doch er wur­de nie rea­li­siert. Washing­ton befürch­te­te, man wür­de kei­ne Ver­hand­lungs­lö­sung mehr finden.

Eine Ver­hand­lungs­lö­sung mit den Tali­ban, jener isla­mis­ti­schen Grup­pie­rung, die der­einst Osa­ma bin Laden Unter­schlupf bot? Das schien lan­ge Zeit undenk­bar. Doch die Tali­ban ent­pupp­ten sich als nahe­zu unbe­sieg­ba­rer Geg­ner für die letz­te Super­macht des Pla­ne­ten. Wäh­rend die USA immer mehr Finanz­mit­tel in den Krieg steck­ten, immer mehr Trup­pen ent­sand­ten und sich der Krieg immer län­ger hin­zog, schie­nen die Tali­ban immer stär­ker zu wer­den. Die Gebie­te, die sie kon­trol­lier­ten, wur­den nicht klei­ner, son­dern im Gegen­teil immer grö­ßer. Und es war eine rea­le Befürch­tung, dass eine neue, eine viel kom­pro­miss­lo­se­re Ge­ne­ration die Füh­rung der Tali­ban über­neh­men könn­te. Kurz gesagt: den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und ihren Ver­bün­de­ten lief die Zeit davon.

Ein nicht gewinnbarer Krieg

Der Krieg in Afgha­ni­stan ist Ame­ri­kas längs­ter und kost­spie­ligs­ter Krieg. Seit fast 19 Jah­ren kämp­fen die USA und ihre Ver­bün­de­ten gegen die Tali­ban. Der Krieg hat, inklu­si­ve der Schät­zun­gen für 2019, ins­ge­samt $975 Mrd. (€859 Mrd.) ver­schlun­gen und die Leben von 2.441 US-Sol­da­ten, 445 bri­ti­schen Sol­da­ten und 1.144 ande­rer Sol­da­ten gekos­tet. Zah­len der Ver­ein­ten Natio­nen zufol­ge haben dar­über hin­aus 10.000 Zivi­lis­tin­nen und Zivi­lis­ten ihr Leben ver­lo­ren. Wie kann es sein, dass trotz die­ser gewal­ti­gen Auf­wen­dun­gen an Men­schen und Mate­ri­al kei­ne Fort­schrit­te erzielt wur­den? Wie konn­te das afgha­ni­sche Nati­on Buil­ding so sehr ver­sa­gen und wie kön­nen die Tali­ban immer noch wei­te Tei­le Afgha­ni­stans kon­trol­lie­ren? In dem zen­tral­asia­ti­schen Staat haben Pla­nung und Stra­te­gie ver­sagt. Es gab kei­ne kla­ren Zie­le und kei­ne Vor­stel­lung davon, wie auf­wän­dig die­se Auf­ga­ben wer­den würden.

I bum­ped into an even more fun­da­men­tal lack of know­ledge; we were devo­id of a fun­da­men­tal under­stan­ding of Afgha­ni­stan – we didn’t know what we were doing. […] What are we try­ing to do here? We didn’t have the fog­gie­st noti­on of what we were under­ta­king. We never would have tole­ra­ted rosy-goal state­ments if we unders­tood, and this didn’t real­ly start hap­pe­ning until Obama.

Lt Gene­ral Dou­glas Lute

Im Gegen­satz dazu wis­sen die Tali­ban sehr genau, womit sie es zu tun haben und, was min­des­tens eben­so wich­tig ist, was sie wol­len: zurück an die Macht. Die Tali­ban haben Afgha­ni­stan tat­säch­lich bis zur US-geführ­ten Inva­si­on im Jahr 2001 de fac­to beherrscht. Als Reak­ti­on auf die Ter­ror­an­schlä­ge vom 11. Sep­tem­ber 2001 griff Washing­ton in einen bereits geführ­ten Bür­ger­krieg zwi­schen den Tali­ban, ent­stan­den in der Pro­vinz Kan­da­har im Süden des Lan­des, und der soge­nann­ten Nord­al­li­anz ein. Die­se Nord­al­li­anz, gegrün­det 1996, war ein loses Mili­tär­bünd­nis aus ver­schie­de­nen War­lords der Taji­ken, Usbe­ken und Haza­ra, das dezi­diert gegen die über­wie­gend pasch­tu­ni­schen Tali­ban gerich­tet war.

Endloser Bürgerkrieg

Der Kon­flikt reicht jedoch noch wei­ter zurück, bis ins Jahr 1978. Damals hat­ten die Sowjets ver­sucht, die kom­mu­nis­ti­sche Zen­tral­re­gie­rung gegen auf­stän­di­sche Muja­hideen zu unter­stüt­zen. Die Muja­hideen waren War­lords und Isla­mis­ten, aber sie kämpf­ten gegen die Rus­sen – vor dem Hin­ter­grund des Kal­ten Kriegs brauch­te es nicht mehr, um die Unter­stüt­zung der USA zu gewin­nen, ins­be­son­de­re, nach­dem die USSR 1979 in Afgha­ni­stan ein­mar­schiert war. Nach­dem die Sowjets nach zehn Jah­ren zum Rück­zug aus Afgha­ni­stan gezwun­gen wor­den waren, ging der Kon­flikt jedoch wei­ter. Aus den Muja­hideen ent­wi­ckel­ten sich die Tali­ban, die iro­ni­scher­wei­se für Sta­bi­li­tät und Rechts­staat­lich­keit stan­den. 1994 erober­ten sie Kan­da­har, eine von Kor­rup­ti­on und Ver­bre­chen gepräg­te Stadt, und 1996 stürz­ten sie Prä­si­dent Rab­ba­ni, ein Taji­ke, der als anti-pasch­tu­nisch und kor­rupt galt. Im sel­ben Jahr grün­de­te sich die Nordallianz.

Der Kon­flikt in Afgha­ni­stan dau­ert nun schon seit 42 Jah­ren an. Wäh­rend all die­ser Zeit ist an Frie­den kaum zu den­ken gewe­sen, ins­be­son­de­re nicht seit dem Auf­stand der Tali­ban gegen die von der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft gestütz­ten Regie­rung. Bis heu­te: der vor­ge­leg­te Plan der US-Admi­nis­tra­ti­on sieht genau das vor, einen Frie­dens­schluss zwi­schen den USA und den Tali­ban. Natür­lich liegt das in ers­ter Linie dar­an, dass US-Prä­si­dent Trump am liebs­ten ges­tern alle Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten aus Afgha­ni­stan abzie­hen wür­de. Der Deal sieht außer­dem vor, dass Ver­hand­lun­gen zwi­schen der afgha­ni­schen Zen­tral­re­gie­rung und den Tali­ban statt­fin­den sollen.

Fragmentierte Zentralregierung

Die jüngs­ten Ereig­nis­se nach der afgha­ni­schen Prä­si­dent­schafts­wahl spre­chen aber nicht gera­de dafür, dass die Zen­tral­re­gie­rung geeint und mit star­ker Stim­me spre­chen wür­de. In der Tat zie­hen sie sogar in Zwei­fel, dass die Bemü­hun­gen der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft, einen moder­nen afgha­ni­schen Staat auf­zu­bau­en, von Erfolg gekrönt wor­den wären. Der amtie­ren­de Prä­si­dent, Ashraf Gha­ni, eben­so wie der (ehe­ma­li­ge) Regie­rungs­chef Abdul­lah Abdul­lah bean­spru­chen den Wahl­sieg für sich. Gha­ni war 2014 in einer Stich­wahl zum Prä­si­den­ten gewählt wor­den, obwohl die meis­ten unter­le­ge­nen Kan­di­da­ten Abdul­lah unter­stützt hat­ten – der in der ers­ten Run­de auf 45 Pro­zent der Stim­men kam. Um einen Kon­flikt wegen angeb­li­chen Wahl­be­trugs zu ver­mei­den, ver­mit­tel­te der dama­li­ge US-Außen­mi­nis­ter John Ker­ry einen Kom­pro­miss. Gha­ni wür­de Prä­si­dent, Abdul­lah wür­de zum „Regie­rungs­ma­na­ger“, eine neu geschaf­fe­ne Posi­ti­on. Zuvor war Abdul­lah bereits gegen Gha­nis Amts­vor­gän­ger, Hamid Kar­zai ange­tre­ten, der 2009 die Wah­len mas­siv mani­pu­liert hatte.

Im Sep­tem­ber 2019 wur­de Ashraf Gha­ni erneut zum Prä­si­den­ten gewählt: mit 50,64 Pro­zent der Stim­men und einer Wahl­be­tei­li­gung von ledig­lich 15 Pro­zent. Abdul­lah Abdul­lah bean­stan­de­te das Ergeb­nis erneut. 300.000 Stim­men sei­en ihm zuzu­rech­nen, Gha­nis Wahl beru­he auf einem Betrug. Doch die­ses Mal gibt es trotz der Bemü­hun­gen des US-Son­der­ge­sand­ten Kha­lilzad kei­ne Ver­hand­lungs­lö­sung, kei­nen Kom­pro­miss: bei­de Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten lie­ßen sich in der Haupt­stadt zum Prä­si­den­ten ver­ei­di­gen. Hier­bei wur­de ein Anschlag auf Abdul­lah ver­übt, der zwar nicht ver­letzt wur­de, aber 32 Men­schen­le­ben forderte.

Frankensteins Land

Trotz aller Bemü­hun­gen sei­tens der USA, was Sta­te Buil­ding in Afgha­ni­stan betrifft, hat­te die­ses offen­sicht­lich kei­nen Erfolg. Ins­ge­samt wur­den hier­für $ 133 Mrd. (€ 117 Mrd.) auf­ge­wen­det und die afgha­ni­sche Demo­kra­tie kann den­noch bes­ten­falls als dys­funk­tio­nal bezeich­net wer­den. Kor­rup­ti­on ist kein Fremd­wort, die Sicher­heits­kräf­te sind weit davon ent­fernt, die Sicher­heit im Land auf­recht erhal­ten zu kön­nen – und die Isla­mis­ten sind dabei, die­sen Krieg doch noch zu gewin­nen. Das Abkom­men zwi­schen den USA und den Tali­ban ist ledig­lich der ers­te Schritt im Frie­dens­pro­zess. Die­ses Abkom­men sieht intra-afgha­ni­sche Ver­hand­lun­gen zwi­schen der Zen­tral­re­gie­rung und den Tali­ban vor – und das bei einer redu­zier­ten Trup­pen­prä­senz der USA.

With­dra­wal of for­eign forces. The United Sta­tes agreed to redu­ce its num­ber of tro­ops in the coun­try from rough­ly 12,000 to 8,600 within 135 days. If the Tali­ban fol­lows through on its com­mit­ments, all U.S. and other for­eign tro­ops will lea­ve Afgha­ni­stan within four­teen months. Experts have cau­tio­ned that pul­ling tro­ops out too quick­ly could be destabilizing.

Coun­cil on For­eign Relations

Es gibt hun­der­te Wege, die­ses Abkom­men zu gefähr­den. Einer davon ist, dass Split­ter­grup­pen der Isla­mis­ten Gewalt zur Durch­set­zung ihrer Inter­es­sen anwen­den. Aber ob der Deal hält oder nicht, ob die USA sich kom­plett aus Afgha­ni­stan zurück­zie­hen wer­den oder nicht: Afgha­ni­stan hat sich wie­der ein­mal als har­tes Pflas­ter für eine Groß­macht ent­puppt. Seit eini­gen Jah­ren kur­siert ein Spitz­na­me, den sich Afgha­ni­stan zurecht ver­dient hat: „Fried­hof der Impe­ri­en“. Kein Impe­ri­um ist wirk­lich nur an Afgha­ni­stan zer­bro­chen. Zu kon­trol­lie­ren hat es aber auch kei­nes geschafft. Statt­des­sen ist der Kon­flikt in Afgha­ni­stan immer wie­der auf­ge­flammt. Er scheint sich nicht nach­hal­tig been­den zu las­sen. Afgha­ni­stan ist Fran­ken­steins Land.

Abkommen der USA mit den Taliban im Original

„Agree­ment for Brin­ging Peace to Afgha­ni­stan bet­ween the Isla­mic Emi­ra­te of Afgha­ni­stan which is not reco­gni­zed by the United Sta­tes as a sta­te and is known as the Tali­ban and the United Sta­tes of America“