Unter Quarantäne

Der Ursprung ist ein Ver­kaufs­stand in Wuhan, Pro­vinz Hub­ei, Volks­re­pu­blik Chi­na. Fisch und Mee­res­früch­te wer­den dort eben­so ange­bo­ten wie Vögel und Kanin­chen. An einem nor­ma­len Tag wür­de wahr­schein­lich nichts pas­sie­ren. Doch an die­sem Tag im Dezem­ber 2019 pas­siert etwas Unge­wöhn­li­ches. Ein Virus springt von einem der Tie­re um auf einen Men­schen und löst eine Krank­heit in die­ser Per­son aus. Zunächst erscheint sie nicht als unge­wöhn­lich, wirkt wie eine gewöhn­li­che Grip­pe. Doch die Erkrank­ten ent­wi­ckeln unge­wöhn­lich hohes Fie­ber und Atem­not. Es dau­ert nicht lan­ge, da wird eine unge­wöhn­li­che, neue Krank­heit aus Chi­na an die WHO gemel­det. Sie wirkt zunächst wie die Grip­pe, nur ver­läuft sie schwe­rer. Und sie brei­tet sich aus. Am 03. Jän­ner 2020 wur­den 44 Krank­heits­fäl­le gemel­det, 11 davon waren schwer. Ein neu­ar­ti­ges Coro­na­vi­rus greift um sich.

Ausbreitung

Eine zoo­no­ti­sche Infek­ti­on ist ein Krank­heits­er­re­ger, der von Tie­ren auf Men­schen über­springt. Das ist auch in die­sem Fall pas­siert. Ein Virus aus der Fami­lie der Coro­na­vi­ren ist von einem Tier auf einen Men­schen über­ge­sprun­gen. Es ver­brei­tet sich nun durch Mensch-zu-Mensch-Kon­tak­te. Das neu­ar­ti­ge Virus wur­de seit­her iden­ti­fi­ziert und benannt. SARS-CoV‑2, das Coro­na­vi­rus, hat sich mitt­ler­wei­le auch nach Euro­pa aus­ge­brei­tet. Fäl­le oder ver­mu­te­te Fäl­le wer­den aus Deutsch­land, Frank­reich, Ita­li­en und Groß­bri­tan­ni­en gemel­det und auch in Öster­reich gab es bereits Krankheitsfälle.

Das war von Anfang an wahr­schein­lich: da die Inku­ba­ti­ons­zeit rela­tiv lan­ge andau­ert und, da man auch ohne Sym­pto­me bereits anste­ckend ist, dürf­te das Virus kaum ein­zu­däm­men sein. Ein der­art inten­si­ver Aus­tausch wie zwi­schen Öster­reich und Ita­li­en beför­dert die Aus­brei­tung natür­lich. Doch dabei darf man eines nicht außer Acht las­sen: COVID-19 ist zwar eine schwe­re Erkran­kung, doch weist sie eine Mor­ta­li­täts­ra­te von zwei bis drei Pro­zent auf. Das ist höher als bei der sai­so­na­len Grip­pe (Influ­en­za), aber deut­lich nied­ri­ger als bei ande­ren schwe­ren Krank­hei­ten. Bei­spiel­haft genannt sei­en hier nur SARS mit einer Mor­ta­li­täts­ra­te von zehn Pro­zent, MERS (34 Pro­zent) und Ebo­la (40 Pro­zent). Beson­ders betrof­fen sind Risi­ko­pa­ti­en­ten: älte­re Men­schen, Men­schen mit Man­gel­er­schei­nun­gen und Per­so­nen mit Autoimmunerkrankungen.

Krisenmanagement

Das Coro­na­vi­rus ist gera­de dabei, sich zu ver­brei­ten und es ist frag­lich, ob es sich ein­däm­men lässt. COVID-19 könn­te sogar zu einer glo­ba­len Pan­de­mie wer­den. Eine sol­che wird sich aller­dings fun­da­men­tal anders auf jene Staa­ten aus­wir­ken, die ein funk­tio­nie­ren­des Gesund­heits­sys­tem und effek­ti­ves Kri­sen­ma­nage­ment auf­wei­sen. Chi­na hat bei­spiels­wei­se ganz anders auf den Aus­bruch reagiert als Ita­li­en oder Öster­reich. In nur zehn Tagen hat es in Wuhan, jener Stadt, in der das Virus erst­mals auf­ge­tre­ten ist, ein Kran­ken­haus qua­si aus dem Boden gestampft und unmit­tel­bar danach ein zwei­tes fer­tig­ge­stellt. Die Chi­ne­sen set­zen vor allem auf Ein­däm­mung des Aus­bruchs. Begin­nend mit Jän­ner 2020 hat Bei­jing nach und nach 100 Mil­lio­nen Men­schen unter Qua­ran­tä­ne gestellt. Dabei hat die Volks­re­pu­blik auch enor­men wirt­schaft­li­chen Scha­den in Kauf genom­men. Den­noch hat sich das Virus aus­ge­brei­tet – bei­spiels­wei­se nach Ita­li­en oder auch in die Isla­mi­sche Repu­blik Iran.

Das ira­ni­sche Kri­sen­ma­nage­ment unter­schei­det sich mas­siv von dem Chi­nas oder Ita­li­ens. Wäh­rend Chi­na vor allem auf Ein­däm­mung setzt, belässt Ita­li­en die Schen­gen-Bin­nen­gren­zen zu Frank­reich, der Schweiz, Öster­reich und Slo­we­ni­en geöff­net. Coro­na-Ver­dachts­fäl­le wer­den exten­siv getes­tet und die ent­spre­chen­den Zah­len öffent­lich gemacht. Nicht so im Iran.

Wäh­rend einer Pres­se­kon­fe­renz wur­de mehr als offen­sicht­lich, dass der stell­ver­tre­ten­de Gesund­heits­mi­nis­ter des Iran, Iraj Harirchi, in kei­ner guten gesund­heit­li­chen Ver­fas­sung war. Offen­sicht­lich litt er an Fie­ber und muss­te sich mehr­fach das Gesicht abtrock­nen. Kurz dar­auf gab der Iran bekannt, dass Harirchi tat­säch­lich an COVID-19 erkrankt ist. Es gehe ihm aber prin­zi­pi­ell nicht schlecht, trotz Glie­der­schmer­zen und Fie­ber. Wie um zu beru­hi­gen ver­öf­fent­lich­te Harirchi ein Video, in dem sich opti­mis­tisch zeig­te, die Erkran­kung in weni­gen Wochen über­wun­den zu haben. Auch der ira­ni­sche Prä­si­dent Hassan Rouha­ni rief zu Ruhe auf, die Men­schen soll­ten nicht in Panik ver­fal­len. Aber der Iran hat den COVID-19-Aus­bruch nicht im Griff, in kei­ner Weise.

Heruntergespielte Zahlen

Offi­zi­ell heißt es, es gebe 388 Erkrank­te im Iran (Stand Frei­tag). Doch es bestehen mas­si­ve Zwei­fel an den offi­zi­el­len Zah­len und an der Auf­rich­tig­keit des Regimes. Viel­fach wird der Vor­wurf erho­ben, Tehe­ran spie­le die Ver­brei­tung des Virus her­un­ter. So for­der­te bei­spiels­wei­se US-Außen­mi­nis­ter Pom­peo den Iran dazu auf, alle Infor­ma­tio­nen öffent­lich zu machen und Unter­stüt­zung durch inter­na­tio­na­le Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen anzu­neh­men. Doch auch aus dem Iran selbst erhob ein Mit­glied des Par­la­ments den Vor­wurf, dass die Behör­den die Zahl der Todes­fäl­le ver­heim­li­chen und die Anzahl der Erkran­kun­gen her­un­ter­spie­len wür­den. Natür­lich sind sol­che Vor­wür­fe immer mit Vor­sicht zu genie­ßen, ins­be­son­de­re, wenn sie von Mit­glie­dern der US-Regie­rung vor­ge­bracht wer­den. Aber ein Blick auf die Zah­len zeigt: Vor­wür­fe, dass die offi­zi­el­len Zah­len nicht stim­men wür­den, schei­nen nicht kom­plett aus der Luft gegrif­fen zu sein.

Bei 388 fest­ge­stell­ten Fäl­len und 34 Ver­stor­be­nen wür­de das Virus eine Mor­ta­li­täts­ra­te von 8,8 Pro­zent auf­wei­sen. Über­all sonst weist es jedoch eine Mor­ta­li­täts­ra­te von zwei bis drei Pro­zent auf. Dem Ver­neh­men nach gehen Immu­no­lo­gen sogar von einer Mor­ta­li­täts­ra­te von 0,8 Pro­zent aus, da nicht alle Infi­zier­ten auch Sym­pto­me ent­wi­ckeln. Wegen der Argu­men­ta­ti­on gehe ich hier von einer Mor­ta­li­täts­ra­te von zwei Pro­zent aus. Sind also im Iran nicht über­durch­schnitt­lich vie­le alte Per­so­nen und Men­schen mit Auto­im­mun­erkran­kung betrof­fen, muss die Anzahl infi­zier­ter Per­so­nen jeden­falls höher sein. Bei einer ange­nom­me­nen Mor­ta­li­täts­ra­te von zwei Pro­zent müss­te sie bei 1.700 lie­gen. Doch es ist ohne genaue­re Infor­ma­tio­nen über die Betrof­fe­nen nicht mög­lich, eine rea­lis­ti­sche­re Ein­schät­zung anzu­bie­ten. Klar ist eines: vie­le Ira­ne­rin­nen und Ira­ner ver­trau­en der ira­ni­schen Regie­rung in die­ser Kri­se nicht.

Anschein der Normalität

Dass der Iran ein mas­si­ves Glaub­wür­dig­keits­pro­blem hat, ver­wun­dert nicht. Ins­be­son­de­re, da das Regime ver­sucht, das Virus selbst für sei­ne Zwe­cke zu instru­men­ta­li­sie­ren. Erst kürz­lich sag­te Rouha­ni, das Coro­na­vi­rus dür­fe nicht als „feind­li­che Waf­fe“ genutzt wer­den, um die ira­ni­sche Wirt­schaft abzu­stel­len. Doch die­se Auf­for­de­rung des ira­ni­schen Prä­si­den­ten wirkt kaum glaub­wür­dig, kaum über­zeu­gend. Es ist viel­mehr der Ver­such, den Anschein der Nor­ma­li­tät zu erwe­cken und den Ein­druck zu ver­mit­teln, der Iran habe alles im Griff. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass sein stell­ver­tre­ten­der Gesund­heits­mi­nis­ter selbst am Coro­na­vi­rus erkrankt ist, ist das nur schwer zu glauben.

Mitt­ler­wei­le hat sich her­aus­ge­stellt, dass die Anzahl der Todes­fäl­le wesent­lich höher lie­gen dürf­te, als bis­her vom Regime zuge­ge­ben wur­de. Die BBC berich­tet, dass Quel­len aus dem ira­ni­schen Gesund­heits­sys­tem behaup­ten, dass sich die Anzahl der Todes­fäl­le am SARS-CoV-2-Erre­ger bis­her auf 210 Per­so­nen beläuft. Das wür­de bedeu­ten, dass in Wahr­heit eher 10.500 Per­so­nen im Iran infi­ziert wären. Das ira­ni­sche Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um demen­tiert die­sen Bericht der BBC. So oder so: für vie­le Men­schen inner­halb und außer­halb des Iran ist die Glaub­wür­dig­keit des Regimes in Tehe­ran mas­siv geschädigt.

Langfristiger Schaden

Tehe­rans Glaub­wür­dig­keits­pro­blem ist im Augen­blick aber nicht sein größ­tes. Wenn sich das Kri­sen­ma­nage­ment des Iran nicht dras­tisch ver­bes­sert und die ira­ni­sche Füh­rung das Ver­trau­en nicht erwe­cken kann, dass sich COVID-19 ledig­lich auf gewis­se Lan­des­tei­le erstreckt, steht die ira­ni­sche Wirt­schaft vor dra­ma­ti­schen Ein­brü­chen. Das liegt dar­an, dass mit Chi­na einer der haupt­säch­li­chen Han­dels­part­ner des Iran aus­fällt. Die Sank­tio­nen der USA gegen den Iran sorg­ten zwar für Ein­bu­ßen beim Export von Erd­öl, dem wich­tigs­ten Export­pro­dukt des Lan­des, aber Sank­tio­nen konn­ten Ein- und Aus­fuhr von Waren nie voll­stän­dig lahm­le­gen. Das Coro­na­vi­rus hin­ge­gen hat das Poten­zi­al dazu, vor allem, da mög­li­che Han­dels­part­ner eine Anste­ckung befürchten.

While the Inter­na­tio­nal Mone­ta­ry Fund esti­ma­tes that Iran’s eco­no­my con­trac­ted 9.5% in 2019, non-oil sec­tors actual­ly mana­ged to grow 0.9% in the last three months of the year, led by a reco­very in manu­fac­tu­ring. Ira­ni­an indus­try had bene­fi­ted from resi­li­ence in non-oil exports, which aver­a­ged $3.5 bil­li­on a month over the year. Month­ly exports to Iraq aver­a­ged around $650 mil­li­on over the past year, while exports to Tur­key aver­a­ged around $400 million.

Esfan­dyar Bag­m­an­helidj, Bloom­berg Opinion

Zudem haben mitt­ler­wei­le alle Nach­bar­staa­ten des Iran ihre Gren­zen geschlos­sen, um die Aus­brei­tung des Virus zu ver­hin­dern. Geschafft haben sie das nicht: Es gab bereits Fäl­le in Afgha­ni­stan (3), Liba­non (3), den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten (6), im Irak (7), Bah­rain (36) und Kuwait (43). Das Virus hat den Nahen Osten erreicht. In den kom­men­den Wochen und Mona­ten muss es gelin­gen, das Virus ein­zu­däm­men, oder es wird Syri­en und Ägyp­ten errei­chen, den Sudan und danach Sub­sa­ha­ra-Afri­ka. Wird das Virus nicht ein­ge­dämmt, wird es sich wei­ter­ver­brei­ten. Für länd­li­che Regio­nen in Sub­sa­ha­ra-Afri­ka, in denen viel­fach nur schlech­te Hygie­ne- und Gesund­heits­be­din­gun­gen herr­schen oder für Syri­en, wo es kein staat­li­ches Kri­sen­ma­nage­ment mehr gibt, bedeu­tet das aller Wahr­schein­lich­keit nach höhe­re Aus­brei­tungs- und Mor­ta­li­täts­ra­ten als bis­her schon.