Schüsse. Explosionen. Feuer. Eine halbe Stunde lang erfolgen immer wieder Bombenangriffe, Erschütterungen und Explosionen sind die Folge, Feuer greift um sich. Das Ziel: Ein Spital in der afghanischen Stadt Kunduz. Angaben der Médecins Sans Frontières zufolge starben mindestens 19 Menschen, 37 weitere wurden verletzt. Zurückhaltung übt die Organisation nicht: ein Kriegsverbrechen sei begangen worden, so MSF, von den Vereinigten Staaten.
Der Hintergrund dieser Tragödie ist ein massiver Angriff der Taliban auf die nordafghanische Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in der vergangenen Woche. Seit Monaten wurde gekämpft, vergangenen Montag kam die überraschende Offensive. Die Taliban warfen alles, was sie hatten, in diese Schlacht und überraschten die Sicherheitskräfte. Nach wenigen Tagen wurden die Islamisten zwar zurückgedrängt, doch dies nur unter äußersten Anstrengungen. Es kam außerdem weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Zurückschlagen konnte man die Taliban mit extensiver Hilfe seitens der USA. Dies wirft die unangenehme Frage auf, wie die afghanischen Sicherheitskräfte so leicht überwunden werden konnten – trotz jahrelanger Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte durch die NATO und trotz des jahrelangen internationalen Engagements. Dieser Angriff stellt die internationale Strategie in Afghanistan grundsätzlich infrage.
In dieser Hinsicht ist der Angriff der Taliban auf Kunduz bereits ein großer Erfolg. Nicht nur, dass sie so den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani unter Druck setzen, indem sie zeigen, dass die Regierung in Kabul nicht in der Lage ist, die Sicherheit ihrer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu garantieren. Das stellt nicht nur Ghanis Politik grundsätzlich infrage – Rücktrittsaufforderungen inklusive – sondern ermöglicht es den Taliban, aus einer Position der Stärke in die Verhandlungen mit der afghanischen Regierung zu gehen, nun, da sie ihre militärischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt haben.
Doch der viel größere Erfolg ist propagandistischer Natur. Man spricht nicht mehr über die Gräueltaten der Taliban oder die Tatsache, dass der Angriff auf Kunduz potenziell einen Bürgerkrieg auslösen könnte. Jetzt spricht man von einem möglichen Kriegsverbrechen, begangen von den Streitkräften der Vereinigten Staaten. Obwohl Präsident Obama eine volle Untersuchung des Angriffs ankündigte, stehen die USA jetzt unter massivem Rechtfertigungsdruck. Wie konnte, trotz Warnungen seitens der MSF das Bombardement für eine halbe Stunde weitergehen? Für Washington ist dieser Vorfall in jedem Fall ein Desaster.