Der ewige Beitrittskandidat

Der Opti­mis­mus weicht lang­sam dem Rea­lis­mus, was die Per­spek­ti­ve eines bal­di­gen EU-Bei­tritts der Tür­kei betrifft. Seit mitt­ler­wei­le meh­re­ren Jah­ren lie­gen die Gesprä­che de fac­to auf Eis und bereits davor waren kei­ne nen­nens­wer­ten Fort­schrit­te erzielt wor­den. Klar ist, dass auch die am Diens­tag beschlos­se­nen Eröff­nung eines neu­en Kapi­tels kei­nen Durch­bruch brin­gen wer­den; zu groß sind die poli­tisch-stra­te­gi­schen Hin­der­nis­se, die über­wun­den wer­den müs­sen. Dabei ist die tür­ki­sche Reak­ti­on auf die Gezi-Park-Pro­tes­te ledig­lich eine Rand­no­tiz. Der immer noch unge­lös­te Zypern-Kon­flikt, die (teu­er zu sub­ven­tio­nie­ren­de) Land­wirt­schaft des Lan­des und das tür­ki­sche Enga­ge­ment im Nahen Osten sind gewich­ti­ge Punk­te, wel­che einen Erfolg bei den Bei­tritts­ver­hand­lun­gen äußerst unwahr­schein­lich machen.

Hin­zu kommt eine fata­le innen­po­li­ti­sche Ent­wick­lung in ver­schie­de­nen EU-Mit­glied­staa­ten: Bei­tritts­ver­hand­lun­gen mit der Tür­kei zu füh­ren lie­fert rechts­po­pu­lis­ti­schen und rechts­extre­men Par­tei­en Muni­ti­on, die vor allem auf Skep­sis gegen­über dem Islam set­zen. Selbst Beschwich­ti­gun­gen, die Tür­kei wer­de nicht bei­tre­ten, sobald es ein Veto eines EU-Staats gebe, wer­den nichts nut­zen. War­um denn über­haupt ver­han­delt wer­de wird eine legi­ti­me Fra­ge sein, die aber vor allem rech­te Par­tei­en nut­zen wer­den, um zu mobilisieren.

Ein Puffer zu Syrien

Der außen- und sicher­heits­po­li­tisch wich­tigs­te Punkt ist jedoch zwei­fel­los die tür­ki­sche Nah­ost-Poli­tik und ins­be­son­de­re der Bür­ger­krieg Syri­en, immer­hin ein Nach­bar­staat der Tür­kei. Ein EU-Bei­tritt Anka­ras wür­de Euro­pa von einem neu­tra­len Beob­ach­ter des Kon­flikts zu einer Kon­flikt­par­tei machen. Nicht nur, dass Anka­ra ein ent­schie­de­ner Geg­ner des Assad-Regimes ist, bereits 2011 unter­stütz­te Anka­ra die Freie Syri­sche Armee mili­tä­risch. Sowohl im Jahr 2011 als auch ver­gan­ge­nes Jahr kam es immer wie­der zu gewalt­sa­men Zusam­men­stö­ßen zwi­schen syri­schen Kon­flikt­par­tei­en und tür­ki­schen Streit­kräften an der syrisch-tür­ki­schen Gren­ze – eine Gren­ze, die im Fal­le des EU-Bei­tritts der Tür­kei zur euro­päi­schen Außen­grenze wer­den würde.

In die­sem Fall wür­de euro­päi­sche Unter­stüt­zung für Anka­ra erfor­der­lich wer­den. Bis­lang stellt die Tür­kei einen Puf­fer zwi­schen Euro­pa und Syri­en dar. Das betrifft sowohl die direk­ten Kampf­hand­lun­gen als auch mög­li­che Flucht­be­we­gun­gen. In die­sem Zusam­men­hang bräch­te aber ein EU-Bei­tritt der Tür­kei den Vor­teil mit sich, dass Anka­ra an euro­päi­sches Recht gebun­den wäre – in die­sem Fall die Dub­lin-Ver­ord­nung, wel­che die Zustän­dig­keit für Asyl­ver­fah­ren jenen Staa­ten über­trägt, in wel­chen der jewei­li­ge Asyl­wer­ber zuerst regis­triert wird. Aller­dings bestün­de auch die Mög­lich­keit eines part­ner­schaft­li­chen Über­ein­kom­mens mit der Tür­kei, wie bereits von Deutsch­land und Frank­reich vorgeschlagen.

Europäische Glaubwürdigkeit

Es schei­nen also vie­le Argu­men­te gegen einen EU-Bei­tritt der Tür­kei zu spre­chen – unbe­dingt nötig ist die­ser nicht, damit Euro­pa erhält, was es außen­po­li­tisch braucht. Dar­über hin­aus wäre der tür­ki­sche Bei­tritt ris­kant, vor allem in Hin­blick auf Syri­en. Aller­dings ist er auch eine Fra­ge der Glaub­wür­dig­keit Euro­pas. Geht man davon aus, dass demo­kra­ti­sche, rechts­staat­li­che und men­schen­recht­li­che Refor­men in der Tür­kei wün­schens­wert sind, gibt es kei­nen bes­se­ren Weg, die­se zu errei­chen, als Beitritts­ver­hand­lun­gen, in denen genau die­se Berei­che the­ma­ti­siert wer­den. Im Gegen­zug steht dem Bei­tritts­kan­di­da­ten natür­lich die EU-Mit­glied­schaft offen. Doch was, wenn zwar ver­han­delt wird, aber eine glaub­wür­di­ge Bei­tritts­per­spek­ti­ve ein­fach nicht gege­ben ist? Es gibt immer­hin kei­nen Auto­ma­tis­mus des Bei­tritts, das heißt, alle bis­he­ri­gen EU-Mit­glied­staa­ten müs­sen der EU-Erwei­te­rung zustimmen.

Da bis­lang kei­ne Fort­schrit­te erzielt wur­den und Frank­reich mehr oder weni­ger offen dar­über nach­denkt, einen tür­ki­schen EU-Bei­tritt abzu­leh­nen, ist es kein Wun­der, wenn die Tür­kei sich zuse­hends von der euro­päi­schen Per­spek­ti­ve ver­ab­schie­det. Doch das ist ris­kant, denn in Euro­pa braucht man einen zuver­läs­si­gen außen­po­li­ti­schen Part­ner am Bos­po­rus. Dar­über hin­aus wirft der Umgang mit der Tür­kei gene­rell die Fra­ge nach der euro­päi­schen Glaub­wür­dig­keit nach außen auf – nach innen jedoch die Fra­ge, in wel­che Rich­tung sich Euro­pa letz­ten Endes ent­wi­ckeln soll. Eine spe­zia­li­sier­te­re Uni­on, die in weni­gen Berei­chen sehr eng koope­riert? Eine uni­ver­sel­le Orga­ni­sa­ti­on, die etwas stär­ker inte­griert ist als die Ver­ein­ten Natio­nen? Oder aber eine poli­ti­sche Union?

Kei­ne die­ser Fra­gen wird in nächs­ter Zeit geklärt wer­den und auch ein Durch­bruch in den Ver­hand­lun­gen mit der Tür­kei ist sehr unwahr­schein­lich. Doch damit läuft Euro­pa Gefahr, einen wich­ti­gen Part­ner zu ver­lie­ren und eine gro­ße Chan­ce für die euro­päi­sche Inte­gra­ti­on wäre verspielt.

Bild: Alex­an­dros Michailidis/Shutterstock.com

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